Arten
erhalten, aber nicht nur im Museum
Raymond Klein
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Raymond Klein -
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NATURSCHUTZ
Habitat
hilft Heidelerche
Europaweit
seltene Arten zu schützen, das ist der Zweck der Habitat-Direktive.
Der Aufwand, der für ihre Umsetzung betrieben wird, wirft die Frage
nach dem Warum und dem Wie von Naturschutz auf.
Kennen Sie die
Heidelerche? Nein? Sollten Sie jemals eine in Luxemburg zu Gesicht bekommen,
so verdanken Sie es der EU-Direktive 92/43/CEE. Diese so genannte Habitat-Direktive
schützt unter anderem den Lebensraum der Heidelerche, spärlich
bewachsene Offenlandbiotope wie sie in den Industriebrachen des Minett
zu finden sind. Zwecks Umsetzung der Habitat- und der Vogelschutzdirektive
in nationales Recht liegt seit April 2001 ein Gesetzprojekt vor, nachdem
Luxemburg bereits 2000 in dieser Sache vor den Europäischen Gerichtshof
zitiert worden war. Die Zeit drängt, umso mehr als bis 2004 die Schutzgebiete
ausgewiesen sein müssen.
Wozu schützen?
Im Fall der
Heidelerche, früher in über 1.000 Exemplaren zugegen, bedeutet
die Direktive, dass sich Luxemburg verpflichtet, den jetzigen Bestand von
zwei Dutzend Brutpaaren zumindest zu erhalten. Dazu müssen Gebiete
wie der Prënzebierg in Differdingen und der Ellergronn in Esch als
Ödflächen erhalten werden, ohne dass eine Verbuschung, ein Vordringen
von Sträuchern und Bäumen, stattfindet. Zwar existiere bereits
ein Teilpflegeplan, so der Mouvement écologique, seine Durchführung
sei aber so, "dass man bei einem derartigen Arbeitsrhzythmus 150 Jahre
brauchen würde, um den Plan umzusetzen."
Wozu dieser
Aufwand? Wenn die Heidelerche verschwindet, wer merkt's, außer ein
paar OrnithologInnen? Roger Schauls, Naturschützer und Mitglied des
Mouvement, stellt der woxx die Gegenfrage: "Warum überhaupt Dinge
erhalten wollen - Keramikscherben von vor 4.000 Jahren im Museum zum Beispiel?"
Und erklärt, dass die natürliche Umwelt für das Überleben
des Menschen wichtig ist, und dass eine artenreiche Natur stabiler und
zukunftssicherer ist - und interessanter. Die Artenvielfalt aber sinke
rapide, und dem müsse man entgegenwirken.
Arten zu erhalten
ohne ihre Umwelt, wie im Zoo, mache nicht viel Sinn. Roger Schauls nennt
das Beispiel der Kornrade. Dieses Ackerwildkraut mit auffälligen purpurnen
Blüten hat in einer Jahrtausende langen Entwicklung seine Fortpflanzung
ganz auf den von Menschen betriebenen Getreideanbau eingestellt. Sein Samen,
von gleicher Größe und Schwere, wurde mit den Getreidekörnern
geerntet und mit dem Saatgutanteil der Ernte wieder ausgebracht. Durch
die Entwicklung der maschinellen Saatgutreinigung seit Mitte des 19. Jahrhunderts
konnte der Samen der Kornrade allerdings immer besser ausgefiltert werden
und die Pflanze wurde zur Rarität. Als solche kann sie im Winseler
Kräutergarten besichtigt werden - die zu ihr passenden landwirtschaftlichen
Geräte wie das Kornsieb findet man in den diversen "Bauernmuseen".
Um von einer wirklichen Arterhaltung sprechen zu können, müsste
man also auch auf alte Bewirtschaftungstechniken der Kulturlandschaft zurückgreifen.
Natur pur
"Arten schützen
heißt Kulturlandschaft pflegen", formuliert es Roger Schauls. "Die
meisten Menschen mögen eine Heidelerche nicht von einer Feldlerche
unterscheiden können, doch wenn die Landschaft der Heidelerche verschwindet,
mit ihren Magerrasen, Orchideen, Schmetterlingen, das sehen sie." Soll
man also alles erhalten, die Welt zu einem Museum machen? Der Naturschützer
winkt ab: "Alles erhalten, das wäre ja furchtbar. Natur ist Veränderung."
Allerdings müsse sich Europa seiner Verantwortung stellen.
Ähnlich
wie die asiatischen Länder eine Verantwortung für die Rettung
der letzten Tiger trügen, müsse Luxemburg kleinere Arten wie
die Heidelerche erhalten - "... die großen sind ja bereits ausgerottet."
Er könne damit leben, dass man demokratisch entscheide, diese oder
jene Art aufzugeben. Aber: "Die Konsequenzen einer Entscheidung, zum Beispiel
eine Straße durch ein Schutzgebiet zu bauen, müssen klar ausgesprochen
werden. Sollen dieser Lebensraum, mit diesen Arten, verschwinden? Um eine
solche Debatte über Konsequenzen und Prioritäten führen
zu können, bräuchten wir allerdings wissenschaftliche Daten,
die derzeit kaum vorliegen."
In der Tat setzte
die von der Regierung vorgelegte Fassung des Gesetzestextes zwar die EU-Direktiven
um, ließ aber im Unklaren, wie die mit den 51 neuen Schutzgebieten
verbundenen Pflegemaßnahmen und das Monitoring zu leisten seien.
Im März 2002 forderte der Mouvement écologique die Schaffung
eines nationalen Institutes für angewandte Ökologie, um endlich
den Luxemburger Naturschutz auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen.
Die Umweltkommission der Chamber entschied sich Ende 2002 für eine
bescheidenere Variante: Der neu hinzugefügte Artikel 65 schafft ein
"réseau de structures scientifiques régionales disposant
d'une cellule de coordination nationale", ein Netz von Strukturen, die
gemeinsam das wissenschafliche Input für Pflegepläne und naturschützerische
Richtlinien liefern sollen.
Schwarze
Schafe
Wie notwendig
ein solches Input ist, macht die aktuelle Kontroverse um das Wanderschafprojekt
deutlich. Theoretisch soll diese mit öffentlichen Geldern geförderte
Schafherde einen Beitrag zum Erhalt von mageren Böden, unter anderem
dem Lebensraum der Heidelerche, beitragen. Dabei sollen, wie es der Mouvement
beschreibt, die Tiere "am Tag in den Trockenrasen weiden und nachts außerhalb
der nährstoffarmen Standorte abkoten" - eine Art Nährstoffexport.
Die Umweltorganisation klagt, dass dieses Projekt immer wieder von der
für den Naturschutz zuständigen Forstverwaltung in Frage gestellt
werde. Der Verwaltungsdirektor Jean-Jacques Erasmy kontert in einem am
Mittwoch veröffentlichten Revue-Interview: Die Herde habe möglicherweise
Kleesamen in die Schutzgebiete eingeschleppt, und der Klee drohe, seltenere
Arten zu verdrängen.
Die Feststellung,
die Forstverwaltung sei in der Vergangenheit ihrer Rolle im Bereich Umweltschutz
nicht gerecht geworden, ist kaum umstritten. Welche Konsequenzen man darausziehen
sollte, darüber gehen die Meinungen jedoch auseinander. Jean-Jacques
Erasmy betont im Revue-Interview die besondere Rolle seiner Verwaltung
und kündigt an, sie demnächst in Naturschutzverwaltung umbenennen
zu lassen. Das wird Kritikern wie Roger Schauls wohl nicht reichen. Er
zollt der Verwaltung zwar Lob für die Naturwaldparzellen und den Erhalt
der Laubholz-Mischwälder. Doch in anderen Bereichen herrsche Willkür
statt Wissenschaftlichkeit. "Ein Großteil der Kredite fließt
in die Renaturierung von Bächen, weil das die Liebhaberei eines Beamten
ist." Camille Gira, grünes Mitglied der Umweltkommission, ist ebenfalls
skeptisch, ob die Forstverwaltung reformierbar ist. Und: "Eine unabhängige
wissenschaftliche Struktur ist sinnvoller als wenn eine Verwaltung ihre
eigenen Entscheidungen kontrollieren soll."
Wissen statt
Willkür
"Der Textvorschlag
der Kommission geht den einen zu weit, den anderen nicht weit genug", stellt
Emile Calmes, Präsident der Umweltkommission fest. Die Forstverwaltung
fühle sich grundlos bedroht, denn sie werde weiterhin die oberste
Kompetenz behalten. Doch nicht nur die Kritik aus der Verwaltung macht
dem Präsidenten der Umweltkommission zu schaffen. Kurz vor der Sommerpause
hat der Staatsrat in seinem zweiten Gutachten mehrere "oppositions formelles"
eingelegt, die unter anderem das "réseau de structures scientifiques
régionales" betreffen. "Wir müssen uns jetzt entscheiden, ob
wir auf die Einsprüche des Staatsrats eingehen oder versuchen, uns
durchzusetzen, was die Prozedur weiter verzögern wird", so Emile Calmes.
Als nächstes soll sich die Kommission ein weiteres Mal mit den kritischen
Stimmen auseinander setzen. "Ich bin dafür, den Text mit den Zusätzen
der Kommission beizubehalten", sagt Emile Calmes. Also doch Hoffnung für
die Heidelerche, dass bei der Reform mehr heraus kommt als ein Schutzgebiet,
das ihren Namen trägt. |