Télécran 6.4.2002
Industriebrachen - Wo bleibt das Konzept?

Viel Zeit und Geld wurde in den vergangenen Jahren in die Neunutzung der Industriebrachen im Süden Luxemburgs investiert. ARBED und Staat gründeten eigens eine Entwicklungsgesellschaft, die Agora, die die zehn Standorte mit einer Gesamtfläche von 650 Hektar zu neuem Leben erwecken soll.
Zur Zeit dreht sich bei Agora alles um Belval-West. Das Areal mit einer Fläche von rund 120 Hektar liegt zwischen Sassenheim und Esch/Alzette. Nach achtmonatigen Beratungen und einem Architekturwettbewerb entschied man sich für ein Urbanisierungsprojekt der niederländischen Firma Jo Coenen & Co. Der geschätzte Kostenpunkt für das Projekt beträgt eine Milliarde Euro.

Trotzdem regt sich Kritik. "Bei all dem Medienrummel um die Neugestaltung von Belval-West kommen die restlichen Industriebrachen zu kurz", behauptet Jos Mischo, Präsident der Luxemburger Natur- und Vogelschutzliga (LNVL) und zugleich Einwohner der Gemeinde Sassenheim.

400 Hektar Brachen

Zwischen Sassenheim, Zolwer, Fousbann, Niederkerschen und Niederkorn gibt es nach Schätzung der LNVL noch weitere 400 Hektar Industriebrachen. Diese Flächen, zusammen mehr als doppelt so groß wie Belval-West, befinden sich entweder noch in der Hand der ARBED oder wurden teilweise an Agora abgegeben.

Es handelt sich um Schlackenhalden, Bauschutt- und Sondermülldeponien, Transportwege, Wasserflächen und Industriezonen " von einem Gesamtkonzept, wie es für Esch-Belval besteht, kann hier keine Rede sein. Immer wieder werden einzelne Teile vom Staat erworben und die Landschaft zunehmend zerstückelt. Von Télécran darauf angesprochen, wollte man seitens der Agora keine Stellungnahme abgeben.

"Hier wird Monopoli mit der Landschaft gespielt: Berge werden versetzt, Wälder verschwinden, Weiher werden zugeschüttet. Die Schlackenhalden ändern ihre Form fast täglich", bedauert Jeannot Braquet von der LNVL-Sektion Differdingen. Die LNVL begrüße zwar die Bestrebungen des Innenministeriums, einen Regionalplan für den Süden aufzustellen, aber "neben Esch-Belval soll auch der restliche Süden eine Zukunft haben."

Wie Philippe Peters, der zuständige Beamte im Innenministerium, bestätigte, gibt es zur Zeit noch keine genauen Pläne für die restlichen Flächen. "Erst wenn Belval-West abgeschlossen ist, werden wir uns mit dem Raum Differdingen befassen, wie es im Zeitplan vorgesehen ist."

In wenigen Jahrzehnten wurden fast alle Freiräume und Erholungsgebiete im Korntal, von Rodange bis nach Sassenheim, verbaut. Landwirtschaftliche Flächen wurden zerstört und die angesiedelten Industrien tragen nicht zur Verbesserung der Lebensqualität bei.

Alle Freiräume zerstört

"Das Problem ist nicht einmal der Bauschutt, der auf den Deponien liegt" sagt Mischo. Bauschutt ist kein Problemstoff, sondern kann sogar als bildendes Material aufgeschüttet werden. "Ein neuer Lebensraum könnte geschaffen werden". Mit dem Lehm auf den Deponien ließen sich Weiher, Spazier- und Radwege anlegen.

Leider gibt es aber eine ganze Reihe anderer Problemstoffe: Schlammlöcher, Sondermülldeponien und Schrottplätze. Kabel, Plastik und Schrott liegen aufgestapelt herum. "Dabei steht der Magnet zur Sondierung nur rund 200 Meter entfernt in Differdingen. Von Recycling hat man hier aber noch nichts gehört", klagt Mischo.

28 000 Bäume gepflanzt

In Sassenheim wurde die intakte Landschaft vor Jahren durch die "Collectrice du Sud" zerschnitten. Die Naturschützer erkämpften damals einen Ausgleich: Für die verschwundenen Naturareale wurden 28000 Eichenbäume auf Staatskosten angepflanzt.

Knapp zwei Jahre später wurden alle Bäume wieder auf Allgemeinkosten weggebaggert. Sie mussten der Firma Kronospan und einer Bauschuttdeponie weichen. Die Bäume wurden zwar umgepflanzt, nur weiß niemand, wo sie sich jetzt befinden.

Bei der Schaffung der Industriezone "Haneboesch" in Niederkorn wurden dann auch die letzten größeren Weiher und Schilfgebiete zugebaggert, drainiert und trockengelegt. Ironie des Schicksals: Am 2. Februar 1998, am Welttag zum Schutze der Feuchtgebiete, wurde der letzte Weiher mit einer Länge von 150 Metern zugeschüttet.

Dieser enorme Verlust - das Korntal ist eines der letzten Feuchtgebiete in Luxemburg überhaupt - sollte wiederum durch die Entstehung eines Naturschutzgebietes ausgeglichen werden. Der alte Lauf der Korn sollte auf der "Dreckswiss" renaturiert werden.

360 Meter renaturiert

Genau 360 Meter wurden 1992 renaturiert, dann gerieten die Arbeiten ins Stocken, weil es Probleme mit der Erwerbung von Grundstücken gab. Die Umklassierungsprozedur ist bis heute noch nicht abgeschlossen, weil das Gelände nicht auf der Liste der potentiellen Naturschutzgebiete aufgeführt ist, die 1981 ausgearbeitet wurde.

Heute ist Sassenheim eingekesselt von einem Militärlager, einer Industriezone und einer Bauschuttdeponie, auf der täglich fast 2000 Lastwagen passieren. Riesige Handels- und Industriezonen, sowie ein Einkaufszentrum wurden gebaut, ohne an die nötigen Zufahrtswege zu denken. Deshalb droht jetzt eine weitere Straße die Landschaft erneut zu zerschneiden: "Die Umgehungsstraße von Niederkerschen würde auch die letzten Naturräume zerstören", ist sich Mischo sicher.

Gilles Welfringer