LNVL  -  Lëtzebuerger Natur- a Vulleschutzliga asbl
Veröffentlicht in Regulus (ISSN 1727-2122) 2000/3 S. 8-9

Giele Botter - Tiresbierg - Prënzebierg : Rückblick und Ausblick
 
    1. Lärm und Schweiß
Alltag auf den Tagebauflächen des Giele Botter : das Donnern der Sprengungen, das Brummen der Lastwagen, das Rattern und Rütteln der Buggien und Dëppercher, der Staub. Hier wird während 100 Jahren Eisenerz abgebaut. Es ist eine schwere Arbeit, und doch weniger unmenschlich als unter Tage. Der technische Fortschritt erlaubt es den Bergleuten, unter freiem Himmel zu arbeiten, unter weniger gefährlichen Bedingungen.
    2. Das Nichts
Für die Natur bedeutet dieser technische Fortschritt die Katastrophe: rücksichtslos werden Bäume abgeholzt, Erdschichten abtransportiert, ganze Berge versetzt. Dort wo einst Wälder standen und Blumen blühten, bleibt nach dem Abbau nichts zurück als nackte Erde, “ tauber” Stein (Foto 1). Über ökologische Zusammenhänge und Folgen machen sich die wenigsten Menschen Gedanken : nach Einstellen der Arbeiten wird die Fläche eben wieder “in ihren ursprünglichen Zustand zurück versetzt” werden - so einfach denkt man sich das damals  (und denkt mancher vielleicht noch heute in ähnlichen Fällen...) ! Nur : Natur, die der Mensch so gründlich zerstört, kann er nicht einfach im Handumdrehen wieder herstellen. Auf Tiresbierg, wo in den 60-er Jahren Ahorne angepflanzt wurden, zeugen heute noch “Bonsais” von dieser menschlichen Arroganz.
Das Jahr 1977 bringt das Ende des Tagebaus in dieser Gegend. Die Minettsdäpp, die seit mehreren Generationen hier “hir Kuuscht verdingt hun”, ja, eine ganze Region, (der unser Land seinen Reichtum verdankt !), haben ihre Identität verloren. De Minett kämpft ums Überleben und gegen sein negatives Image : “Déi am Minett sin de Knascht gewinnt !”. 
Ebenso ergeht es den jetzt “wertlosen” Fläche. Sie müssen als Deponie herhalten. Tonnen Plastikfolie werden dort abgeladen, später notdürftig mit Geröll abgedeckt – sie sind heute noch zu sehen.
    3. Das Paradies
Bereits Anfang der 60-er Jahre (im Tagebau wird noch gearbeitet), während einige Zeitgenossen in der “Mondlandschaft” nur einen Schuttabladeplatz sehen, andere an Rennpisten und Golfplätze denken, beginnen Naturschützer erste Inventare der floristischen und faunistischen Schätze des Prënzebierg aufzustellen : zahlreiche seltene und geschützte Pflanzen (Foto 2), Vögel, Säugetiere, Amphibien und Reptilien werden beobachtet, ein ungemeiner Artenreichtum an Insekten registriert.
Ein Mosaik aus unterschiedlichen Biotopen hat sich auf den aufgelassenen Flächen entwickelt. Während an den zuletzt abgeladenen Steinen zaghaft erste Flechten, Moose und andere Hunger- und Durstkünstler die Rückkehr von Flora und Fauna vorbereiten, haben sich an den zuerst aufgegebenen Stellen teilweise schon Pionierwälder entwickelt. Eine Halde aus der Zeit, als das Erz noch von Hand abgebaut und mit kleinen Loren gekippt wurde, erhält wegen ihrer märchenhaften Schönheit den Namen Paradies.
Jahrelang setzen sich die Naturfrënn Kordall  für die Ausweisung des Gebiets als réserve naturelle ein, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln : Führungen, Dia-Abende und Leserbriefe einerseits, Kartierungen und wissenschaftliche Artikel anderererseits.
    4. Und wieder : Lärm und Schweiß
Endlich, 1991, wird das Gebiet als réserve naturelle Prënzebierg ausgewiesen; wenige Jahre später muss der Schießstand schließen.
Da, im Winter 1996/1997, ertönt wieder Motorenlärm aus dem Naturschutzgebiet. Er kommt vom Tiresbierg, einem aus Abraum geschaffenen Plateau. Diesmal sind nicht Hauer und Schlepper zur Schicht angetreten, sondern die Naturfrënn Kordall. Die Naturschützer haben erkannt, dass der Artenreichtum der offenen Flächen bedroht ist.
Hecken beginnen sich auszubreiten (Foto 3), und so gibt es immer mehr Schatten, mehr Nährstoffe, mehr Feuchtigkeit. Wenn der Mensch, der dieses “Paradies” (wenn auch ungewollt) geschaffen hat, nicht weiter eingreift, wird in einigen Jahrzehnten Wald die Koppen bedecken (Sukzession) und viele schützenswerte Pflanzen und mit ihnen Tiere werden ihren Lebensraum verloren haben.
Der Tiresbierg, wo sich auf staunassem Untergrund besonders seltene Orchideen (Foto 4) angesiedelt haben, ist akut gefährdet. Mit Genehmigung des Umweltministeriums entbuschen die Naturfrënn dort seit 1996. Es geht jedoch um mehr als nur darum, einige Ar weitgehend von Gebüschen zu befreien: einerseits soll auf das Problem der Verbuschung aufmerksam gemacht werden (Führungen, Ausstellungen, Zeitungsartikel), andererseits sollen Erfahrungen für eine mögliche spätere Aktion auf breiterer Basis gesammelt werden. Um die Auswirkungen der Pflegemaßnahmen festzuhalten, wird zwar der gesamte Tiresbierg im Auge behalten, zwei Testflächen werden jedoch genauer observiert. Testfläche S, 50 x 20 Meter, teilweise stark verbuscht und relativ feucht, wird per Seilwinde (“timberjack”) entbuscht, d. h., die Weiden werden samt Wurzeln herausgezogen. Auf Testfläche M, 20 x 20 Meter, mit wenig Erde über dem Gestein, werden die Gehölze (außer Birken und Kiefern) mit der Motorsäge entfernt und mehrmals nachentbuscht. Jedes Jahr wird im Frühsommer der Bestand an blühenden Anacamptis pyramidalis (Foto 5) gezählt.
    5. Verlorenes Paradies ?
Die jährlichen Zählungen stimmen nicht optimistisch, auch unter der Annahme, dass der Bestand natürlichen Schwankungen unterliegt. Die auf den ersten Blick ähnlichen Flächen, die nur wenige Meter voneinander entfernt liegen, reagieren unterschiedlich : während auf Fläche S vor allem die Gräser profitieren, werden die Orchideen auf Testfläche M zwar zahlreicher, jedoch sind hier viele Gehölze gekeimt , die den Bestand langfristig bedrohen werden. Die LNVL-Sektion kommt zu dem Schluss: Entbuschen allein genügt nicht, um die Orchideen zu erhalten; daneben muss an weitere Maßnahmen, wie Mähen und/oder Beweiden, gedacht werden. Sorgen macht den Naturschützern auch die immer schneller fortschreitende Verbuschung der Tagebauflächen. Im Sommer 1998 unternehmen sie erste Schritte in Richtung einer Koordinierung von Pflegemaßnahmen, bzw. eines Gesamtplans. Im Oktober 1999 fassen sie in einem Bericht (“ Bericht zum Projekt Tiresbierg – Pflegemaßnahmen zum Erhalt einer artenreichen Orchideenwiese ”) die bis dahin auf Tiresbierg gemachten Erfahrungen zusammen.
Der Sommer 2000 zeigt eine weitere Bedrohung der besonderen Pflanzenwelt auf Giele Botter: die starke Vermehrung vom Weißen Steinkleim gesamten Naturschutzgebiet. So unterdrückt jetzt auf einem Teil von Testfläche M, bis 1999 praktisch ohne Steinklee, ein dichter, anderthalb Meter hoher Steinklee-“Wald” praktisch alle anderen Pflanzen (Foto 6) und gibt Anlass zu der Befürchtung, dass diese Art auf Kosten anderer von einer Entbuschung profitieren könnte.
Im Juli 2000 legen die LNVL-Naturfrënn Kordall ihre “Vorschläge für eine sanfte Pflege des Tiresbierg” vor, als Beitrag zum Gesamtpflegeplan, der jetzt in Ausarbeitung ist. Die Naturfrënn erläutern darin ihre Vorschläge für eine adäquate Pflege des Tiresbierg, wollen aber vor allem auch darauf aufmerksam machen, wie vorsichtig und differenziert bei der Betreuung der Flächen vorgegangen werden muss. Ein so großes Areal mit seinen verschiedenen Biotopen und Sukzessionsstadien kann nicht im Hauruck-Verfahren und nach “Schema X” betreut werden, wie die unterschiedlichen Reaktionen der Tiresbierg-Testflächen zeigen. Vielmehr muss bei der Umsetzung des Plans behutsam vorgegangen werden, Flora und Fauna müsssen über die Jahre genauestens beobachtet und die Pflegemaßnahmen immer wieder angepasst werden. Die LNVL-Sektionen Petingen und Differdingen, die die Evolution des Naturschutzgebiets seit Jahren verfolgen, stehen mit ihrem Wissen zur Verfügung und werden auch die weiteren Entwicklungen aufmerksam verfolgen. Die “Leit vum Terrain” kennen die Geschichte der alten Tagebaugebiete und wissen um die Verbundenheit der Menschen hier mit diesen Flächen.  Es ist ihnen deshalb ein Hauptanliegen, dass auch kulturhistorische und soziale Aspekte in einen Gesamtpflegeplan und dessen Umsetzung einfließen. Weiterhin sind sie Ansprechpartner in der Region und können als Bindeglied und Vermittler zwischen der breiten Bevölkerung und den Experten dienen.
Das Naturschutzgebiet Giele Botter - Tiresbierg - Prënzebierg ist ein offenes Lehrbuch der Geologie, der natürlichen Sukzession, aber auch der Geschichte einer Region. Darüber hinaus dokumentiert es die Entstehung und Entwicklung von Biotopen aus Menschenhand. Durch das Zusammenspiel vieler Faktoren konnten hier wertvolle Lebensräume entstehen. Können wir es uns erlauben ein solches Paradies einfach verschwinden zu lassen ? 

Stein auf Giele Botter : Flechten und Moose besiedeln den nackten Stein.
 
 
 
 
 
 
 
 


Fransenenzian, eine geschütze Pflanze in Luxemburg
 
 
 
 
 
 
 
 


Wieder ausschlagende Weide, die das Naturschutzgebiet zu verbuschen droht
 
 
 
 
 
 
 
 


Bienenragwurz : Erstnachweis auf Giele Botter-Prënzebierg : 1977 (A.Pelles)
 
 
 
 
 
 
 
 


Anacamptis pyramidalis (Pyramidenorchis) : häufigste Orchideenart im Naturschutzgebiet. Das erste Exemplar wurde 1974 von A. Pelles auf Prënzebierg entdeckt
 
 
 
 
 
 
 
 


Bedrohung für seltene Pflanzen? Weißer Steinklee dringt massiv in eine entbuschte Fläche ein

Françoise Rollinger (Naturfrënn Kordall, Petingen)
Für weitere Informationen : francoise.rollinger@ci.educ.lu
Fotos : Françoise Rollinger


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