LNVL  -  Lëtzebuerger Natur- a Vulleschutzliga asbl
Veröffentlicht in Regulus (ISSN 1727-2122) 1994/2 S. 4-9

Die Wildkatze: Lebensweise und Verbreitung in Luxemburg

Marc Moes

Im Sommer 1992 ließ der „Service de la conservation de la nature" der Forstverwaltung bei den Förstern und Jagdlospächtern eine Umfrage über die Verbreitung der Wildkatze in Luxemburg durchführen. Im Folgenden wird neben den Ergebnissen dieser Umfrage auch die Lebensweise dieser scheuen und wenig bekannten Tierart vorgestellt.

Das Aussehen der Wildkatze
Die Wildkatze (Felis silvestris Schreber 1777) ist eine in Afrika, Asien und Europa lebende Kleinkatze. Die Wildkatzen Luxemburgs gehören wie die allermeisten europäischen Wildkatzen zur Unterart Felis silvestris silvestris. Diese Unterart gilt nicht als Vorfahre der Hauskatze (Felis catus). Hauskatzen stammen sehr wahrscheinlich von den afrikanischen Falbkatzen (Felis silvestris lybica) ab.

Wildkatzen sind meist sandfarben-gräulich gefärbt. Die Felltigerung ist verwaschener als bei wildfarbenen Hauskatzen. Neben den Flanken sind auch Kopf und Rücken gestreift. Die Kehle ist weißlich gefärbt. Im Gelände sind die Zeichnung der Hinterfußsohle und die Form, Färbung und Länge des Schwanzes wichtige Erkennungsmerkmale von Wildkatzen. Im Gegensatz zu Hauskatzen, die in aller Regel eine durchgehend dunkel gefärbte Hinterfußsohle haben, ist die Hinterfußsohle bei der Wildkatze hell mit einem mehr oder weniger großen dunklen Flecken. In besonders typischer Ausprägung ist der Hinterfußsohlenfleck nicht viel größer als eine Fünfmarkmünze. Der Schwanz der Wildkatze mißt mehr als 50% ihrer Körperlänge und ist somit länger als bei der Hauskatze (<50% der Körperlänge). Er weist eine schwarze Spitze auf, vor der 2 oder 3 geschlossene schwarze Ringe liegen, auf die zum Körper hin schmalere Ringe folgen. In besonders typischer Ausprägung verdickt sich der Schwanz zum Ende hin und endet stumpf.

Wildkatzen sind im Mittel nur wenig größer als Hauskatzen. Männliche Wildkatzen weisen beispielsweise nach Piechocki (1990) eine mittlere Kopfrumpflänge von knapp 60cm auf, Weibchen von knapp 54cm. Durch ihre längere Körperbehaarung wirken Wildkatzen jedoch schwerer und gedrungener als Hauskatzen. Die Körpergewichte von Wild- und Hauskatzen sind im Mittel aber praktisch gleich. Condé und Schauenberg (1971) widerlegten als erste übertriebene Gewichtsangaben über die Wildkatze. Sie zeigten, daß männliche Wildkatzen am häufigsten um 5 kg (Maximum 7.7 kg) und Weibchen um 3.6 kg (Maximum außerhalb der Tragzeit 4.9 kg) wiegen.

Wildkatze - Hauskatze - Blendlinge
Wildkatzen können sich mit Hauskatzen paaren. Die aus solchen Paarungen hervorgehenden Katzen werden Blendlinge genannt. In der Fell- und Körperausbildung nehmen Blendlinge eine Zwischenstellung zwischen wildfarbenen Haus- und Wildkatzen ein. Blendlinge können echten Wildkatzen äußerst ähnlich sein und sind dann im Gelände oft nicht von ihnen zu unterschieden. Das gleiche gilt bei schlechten Beobachtungsbedingungen für wildfarbene Hauskatzen. Dieser Schwierigkeiten sollte man sich bei der Ansprache von wildfarbenen Katzen im Gelände immer bewußt sein!

Blendlinge können wie Wildkatzen in freier Natur leben. Sie dürfen nicht mit verwilderten Hauskatzen („chat haret") verwechselt werden, die (normalerweise) nicht aus Paarungen mit Wildkatzen hervorgegangen sind. Kreuzungen zwischen Wild- und Hauskatzen scheinen umso häufiger zu sein je weniger Wildkatzen und je mehr Hauskatzen es in einem Gebiet gibt.

Lebensraum, Ernährung und Fortpflanzung
F. silvestris silvestris ist eine Waldkatze („chat forestier") und ihr entscheidender Habitatanspruch ist zumindest in Mitteleuropa das Vorkommen größerer, zusammenhängender Wälder. Allerdings halten sich die Wildkatzen bevorzugt in den Randbereichen der Wälder, d.h. an Lichtungen und an Waldrändern auf, von wo sie Jagdzüge in die unmittelbar angrenzenden Agrarflächen oder Waldlichtungen unternehmen. Horizontale und vertikale Strukturierung, innerer und äußerer Grenzlinienreichtum und das Angebot von Deckungsmöglichkeiten in den angrenzenden Agrarflächen, in Form von Hecken, Altgrasstreifen u.s.w., begünstigen die Wildkatze. Die Tatsache, daß Feldmäuse einen hohen Anteil der Beutetiere ausmachen, weist auf die Bedeutung von Wiesen und Feldern als Jagdgebiete hin.

Kleinnager (vor allem Wühlmäuse und Langschwanzmäuse) stellen den Hauptbestandteil der Wildkatzennahrung. So fanden sich in Wildkatzenmägen bis zu 26 Mäuse! Sehr viel seltener werden Spitzmäuse, Vögel, Amphibien, Kaninchen oder Hasen angenommen. Wildkatzen sind also Nahrungsspezialisten, die auf Mäuse angewiesen sind - und keine wilden Räuber. In kalten und schneereichen Wintern verhungern sie eher als daß sie andere Nahrungsquellen nutzen könnten (Eiberle 1980).

Mit Ausnahme der Fortpflanzungszeit (Hauptbrunstzeit sind die Monate Februar und März) leben Wildkatzen als Einzelgänger. Radiotelemetrische Untersuchungen zeigten bei Männchen Lebensraumgrößen von bis zu 1.200 ha, bei Weibchen solche von ca. 200 ha. Der Lebensraum eines Männchens kann diejenigen mehrerer Weibchen überlappen. Wildkatzen bringen i.d.R. nur einmal im Jahr nach einer Tragzeit von knapp 70 Tagen 1-6 Junge zur Welt (im Mittel 3 Junge). Wenn die Jungen ein Alter von fünf Monaten erreicht haben, löst sich die Familie normalerweise auf. Viele Jungkatzen überleben den ersten Winter nicht. Die Sterblichkeit kann im ersten Lebensjahr 75% betragen.

Die Verbreitung der Wildkatze in Luxemburg
Die Luxemburger Wildkatzen-Population bewohnt den Norden des größten mitteleuropäischen Verbreitungsgebietes der Wildkatze. Dieses begreift praktisch den gesamten Nordosten Frankreichs, die Eifel, den Hunsrück, den Pfälzer Wald, das belgische Lothringen und die belgischen Ardennen. Die Ausbreitung der Wildkatze in diesen Gebieten seit etwa der Mitte unseres Jahrhunderts zeigt, daß nicht so sehr Lebensraumveränderungen, sondern vielmehr eine rücksichtslose Verfolgung der Wildkatze zusetzte.

Im folgenden wird die Verbreitung der Wildkatze in Luxemburg beschrieben. Dabei wurden neben den Angaben von Förstern und Jagdlospächtern respektive von Jägern auch solche von Drittpersonen sowie Literaturangaben und Belegexemplare, d.h. präparierte Tiere berücksichtigt.
Demnach lassen sich drei Gebiete mit Wildkatzenvorkommen unterscheiden. Es sind dies:
- das mittlere und südliche Ösling einschließlich des nordwestlichen Gutlandes, mit einer Häufung von Nachweisen im Bereich der Karten 3D (Clervaux SE), 7B (Lac de la Haute-Sûre SW), 8C (Heiderscheid NE) und 8D (Heiderscheid SE),
- das nordöstliche Gutland entlang von Sauer und Mosel, mit einer Häufung von Nachweisen im Bereich der Karte 23A (Grevenmacher NW),
- der Süden des Landes entlang der französischen Grenze.

Die Landesteile, für die keine Nachweise vorliegen, zeichnen sich durch eine geringere Bewaldung aus. Es sind dies vor allem Bereiche des Öslinger Hochplateaus und die Bereiche westlich und südwestlich von Luxemburg-Stadt bis zu den Landesgrenzen.

Ehemals von der Wildkatze bewohnte Gebiete, in denen Nachweise seit 1980 fehlen, liegen im Norden im Bereich der Karten 3A (Clervaux NW) und 3C (Clervaux NE) und im Bereich des Meßtischblattes 12 (Larochette). Neuere Nachweise fehlen ebenfalls im Gebiet der Unteren Our zwischen Wahlhausen und Reisdorf im Bereich der Karten 6B (Putscheid SW), 9A, 9C und 9D (Diekirch-Vianden NW, NE und SE). Einzelmeldungen müßten z.T. noch einmal überprüft werden.
 
Die Wildkatze - Zu Unrecht fast ausgerottet
Diezel, CD., 1913: „Ihre Beute sind die kleineren Vögel und deren Junge sowie alles Wildgeflügel von der Wachtel bis zum Auerhahn. Kaninchen, Hasen, Rehkitze, ja selbst Wildkälber und in Zeiten der Winternot selbst alte Rehe fallen ihr zum Opfer. In Fasanerien ist sie ein sehr gefürchteter Gast, da sie die brütende Henne wie die aufgebäumten alten Fasanen reißt. Für den Rehbestand ist sie weit gefährlicher als der Fuchs, für das Kaninchen, Hasen und Rebhühner, für Fasanen, Hasel-, Birk- und Auerhühner eine wahre Geißel. Die Jäger haben allen Grund, diesem unheimlichen Gast auf jede mögliche Art nachzustellen." (aus Eiberle, 1980)
Diese Zeilen aus dem frühen 20sten Jhd. stammen aus einer Zeit, als in Mitteleuropa ein regelrechter Vernichtungsfeldzug gegen die Wildkatze stattfand, nachdem Luchs und Wolf bereits weitestgehend ausgerottet waren. Die Meinung über die Schädlichkeit der Wildkatze war natürlich gepaart mit einer großen Unwissenheit. So finden sich beispielsweise in der alten Jagdliteratur märchenhafte Angaben zu der Größe und dem Gewicht von Wildkatzen. Die Rede war von 12 kg wiegenden oder noch schwereren Katzen. Heute liegt eine umfangreiche Literatur über die Wildkatze vor: sie belegt, daß die Wildkatze zu Unrecht verfolgt und an den Rand der Ausrottung gebracht worden war. Nach Eiberle (1980) weist die Rückkehr der Wildkatze in ehemals besiedelte Gebiete darauf hin, daß die Wildkatze eine der seltenen Tierarten zu sein scheint, die schon durch eine alleinige Unterschutzstellung gefördert werden können.

Schutzstatus
Die Wildkatze genießt in Luxemburg seit 1972 eine ganzjährige Schonzeit. Im „Règlement grand-ducal du 8 avril 1986 concernant la protection intégrale et partielle de certaines espèces animales de la faune sauvage" ist die Wildkatze in Anhang 1 aufgelistet. Sie ist somit vollständig geschützt („intégralement protégé"). Seit 1990 gehört die Wildkatze nicht mehr zum Jagdwild (Règlement ministériel du 22 novembre 1990 concernant les espèces de la faune sauvage classées gibier).

Die Wildkatze ist weiterhin durch wichtige internationale Abkommen geschützt: sie steht
- in Anhang II des Berner Übereinkommens (Convention on the Conservation of European Wildlife and Natural Habitats; 1982 in Luxemburger Recht übernommen),
- in Anhang II des CITES-Übereinkommens (Convention on International Trade in Endangered Species) und in Liste C2 der CITES-Umsetzungsverordnung der EG (EG-VO 3626/82; 1984 in Luxemburger Recht übernommen),
- in Anhang IV der EG-Habitatrichtlinie (92/43 vom 21.5.1992).

Wichtig für den Schutz der Wildkatze ist das generelle Verbot der Verwendung von Tellereisen (piège à mâchoires) in Luxemburg ab 1. Januar 1994 in Anwendung der EG-Verordnung (EWG) No 3254/91. Bis dahin war nur die Jagd mit Hilfe von Tellereisen untersagt (article 13 de la loi modifiée du 19 mai 1885 sur la chasse), nicht aber die Verfolgung von Schadtieren.

Da in Luxemburg Hauskatzen ab einer Entfernung von 300 m von Häusern oder Siedlungen erlegt werden dürfen - diese Regelung ist in Europa eine Ausnahme -, ist angesichts der schwierigen Ansprache von wildfarbenen Katzen (siehe oben) damit zu rechnen, daß auch Wildkatzen mit streunenden Hauskatzen verwechselt und in Verstoß gegen die Verordnung vom 8. April 1986 geschossen werden. Um dies zu verhindern, empfiehlt der Europarat (Convention relative à la conservation de la vie sauvage et du milieu naturel) Luxemburg, seine Gesetzgebung diesbezüglich zu ändern. Möglich sind ein generelles Verbot der Bejagung von Katzen oder ein Verbot der Bejagung von wildfarbenen Katzen.

Literatur:
Condé B., P. Schauenberg (1971): Das Körpergewicht der europäischen Wildkatze (Fells silvestris Schreber 1777). Rev. Suisse ZooL 78, 295-315.
Eiberle K. (1980): Lehren aus der Verbreitungsgeschichte der mitteleuropäischen Wildkatze. Schweiz.Z.Forstwes. 131 11965-986.
Piechocki R. (1990): Die Wildkatze. Die Neue Brehm-Bücherei. Wittenberg-Lutherstadt.

Verbreitung der Wildkatze in Luxemburg nach dem Raster der topographischen Karten 1:10.000. Es bedeuten: dunkel: Nachweise nach 1980; hell: Nachweise vor 1980; weiß: keine Nachweise. Die Verbreitungskarte beruht auf einer 1992 bei den Förstern und Jagdlospächtern durchgeführten Umfrage. In die Karte gehen ebenfalls Beobachtungen von Drittpersonen und Belegexemplare ein. Einzelbeobachtungen, insbesondere am Südrand des nördlichen Verbreitungsgebietes, müßten überprüft werden.

Fototexte:
Wildkatzen werden in Luxemburg selten beobachtet. Sie sind ausgesprochene Einzelgänger und halten sich vornehmlich in den Randbereichen der Wälder auf. Mäuse bieten die Hauptnahrungsquelle. Foto: S. Craig/Aquila

Robert Duponts Beobachtungsgabe und Geduld wurden mit der wohl einzigen in Luxemburg gemachten Aufnahme einer Wildkatze in freier Wildbahn belohnt.

In den 60er Jahren bei Feulen erlegte Wildkatzen.

Dreijährige Wildkatze im Zuchtgehege Schloß Wiesenfelden des Bundes Naturschutz in Bayern e.V. - Aktion Wildkatzenschutz. In Gehegen gehaltene Wildkatzen liefern wichtige Erkenntnisse über die Biologie dieser im Freiland nur schwer beobachtbaren Tierart. Foto: Jean-Marie Sinner (Eaux et Forêts)

In freier Wildbahn fotografierte Wildkatze. Typisch sind die breite Schnauzenregion, die langen weißen Schnurr- und Tasthaare und der relativ helle Nasenspiegel. Foto: Alain Moulin

Ebenfalls in freier Wildbahn fotografierte Wildkatze. Hinweise auf eine Wildkatze sind der weiße Kehlfleck und der mächtige Schwanz. Foto: Alain Moulin


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