Einmal Luxemburg und zurück.
Manchmal sind Ringfunde von ungewöhnlichen Umständen abhängig.
So telefonierte uns am 25.9.1980 ein Landwirt aus der Gegend von Diekirch,
er habe einen beringten "Hingerdéif" auf einem toten Huhn in seinem
Hühnerstall erwischt. Da er glaubte, dass es unser Vogel sei, hielt
er uns verantwortlich für den angerichteten Schaden. Nach längeren
Erklärungen, die darauf hinausgingen, dieser Fall habe nichts mit
der Falknerei zu tun, der Vogel sei also ein Wildtier und nicht auf
Hühnerfang abgerichtet, teilte er uns die Ringnummer mit und liess
das Tier andernorts frei ("damit es mir nicht noch Hühner tötet").
Die Ermittlungen ergaben, dass es sich um einen drei Monate alten Habicht
(3080690) aus der Gegend von Köln gehandelt hat, der im Jagdeifer
und aus Mangel an Erfahrung in diese missliche Lage geraten war. Von Sperbern
wurden uns ähnliche Fälle mit Spatzen an Futterplätzen bekannt.
Nicht immer jedoch können die Tiere mit solch verständnisvollen
Menschen rechnen, und dann gehts ihnen an den Kragen ...
In der Natur läuft eben nicht alles zimperlich ab. So zum Beispiel
der Lebenslauf einer Kohlmeise (5A6828): am 23.1.1934 von J. Morbach am
Futterplatz beringt, am 10.11.1935 wieder dort festgestellt, wurde der
Ring dieses Vogels im Winter 1937/38 in einem Eulengewölle wiedergefunden.
Der Vogel war also - samt Ring - von einer Eule verzehrt worden, welche
später das Unverdauliche (also auch den Ring) in Form eines Gewölles
wieder auswürgte. Eine andere Kohlmeise (6A810) wurde am 22.5.1934
als Nestling bei Kayl beringt und der Ring am 10.3.1937 bei Steinbrücken
in einem frischen Gewölle der Waldohreule wiedergefunden. Solche Funde
sind natürlich selten und nur dem Umstand zu verdanken, dass Orbithologen
zu dieser Zeit die Ernährungsgewohnheiten unserer Eulen studierten.
Ungleiche Geschwister.
Die zahlreichen Ringfunde, die bisher in Europa vorliegen, zeigen deutlich,
dass die Wanderungen unserer Vögel viel komplexer sind als man dies
auf den ersten Blick annehmen könnte. Diese Zugbewegungen beschränken
sich nicht einfach darauf, dass die "Zugvögel" im Herbst nach "Süden"
ziehen und im Frühjahr wiederkommen. Bei verschiedenen Arten - die
nicht unbedingt als sogenannte Zugvögel bekannt sind - können
diese Wanderungen regelrechte "Auswanderungen" sein, so zum Beispiel bei
unseren Schleiereulen. Wegen der Kleinheit unseres Staates sind es sogar
echte "Auswanderungen" über unsere Staatsgrenzen hinaus. Bei Schleiereulen
konnte durch die Beringung festgestellt werden, dass bei diesen Bewegungen
keine angeborene bevorzugte Richtung (wie etwa beim klassischen klimatisch
bedingten Zug der Zugvögel) eingehalten wurde. Sogar die Geschwister
einer Brut bringen es fertig, in verschiedene Richtungen und Entfernungen
abzuwandern. Dies konnte auch für einheimische Schleiereulen gelegentlich
nachgewiesen werden, einerseits weil Schleiereulen manchmal (besonders
in guten Mäusejahren) viele Junge (6-12) haben können, andererseits
weil grosse Vögel - die sich ausserdem in Menschennähe aufhalten
- eine hohe Wiederfundrate aufweisen, die bis 30% der beringten Vögel
ausmachen kann. So wurden zum Beispiel vier Geschwister, die am 4.7.1975
in Kehlen beringt wurden, folgendermassen wiedergefunden (alle als Verkehrsopfer):
- H20357 am 3.2.1976 150 km E
- H20358 am 20.10.1975 146 km NNE
- H20359 am 24.11.1975 188 km SE
- H20361 am 12.10.1975 322 km ESE
Aus einer Brut, die am 25.5.1961 in Abweiler beringt wurde, liegen
diese Funde vor:
- C33704 am 2.11.1962 29 km SSE (Eisenbahn-Verkehrsopfer)
- C33705 am 30.9.1961 19 km NE (in Bretterwand erhängt)
- C33707 am 22.9.1961 310 km WSW (getötet!).
Vorige Beispiele geben Aufschluss darüber, dass die Sterblichkeitsrate
klassischerweise besonders bei Jungvögeln sehr hoch ist, und auch
dass bei verschiedenen Arten neben der natürlichen Auslese die indirekt
durch den Menschen neu hinzugekommene eine wesentliche Rolle spielt. Bei
der Schleiereule sind die häufigen Verkehrsunfälle dadurch zu
erklären, dass sie ihre Hauptnahrung (Mäuse) leichter auf freien
Flächen wie Strassen, Eisenbahndämmen usw. finden kann, und deshalb
gerne solche - für sie gefährliche - Orte aufsucht.
Andere Arten, andere Sitten - kann man bei der Geschichte der folgenden
Singdrosselgeschwister sagen, die im Mai 1970 bei Luxemburg das Licht der
Welt erblickten. Die erste (4Z47340) wurde am 11.10.1970 im Loir-et-Cher
auf der Jagd geschossen (421 km WSW). Die zweite (4Z47338) brachte es noch
bis auf 656 km SW, als sie in der Charente das gleiche Schicksal ereilte.
Die Schlussfolgerung, dass lokaler Vogelschutz allein nicht alle Probleme
lösen kann, wird mit derartigen Beringungsresultaten besonders eindringlich
veranschaulicht.
Grosse Wanderer.
Dass es bei den Zugvögeln einige Arten gibt, die besonders grosse
Wanderungen zurücklegen, ist wohl bekannt. Es liegen auch Ringfunde
einheimischer Vögel vor, welche derartige Marathonflüge illustrieren.
Das Problem liegt aber meist bei der sehr kleinen Wiederfundrate, besonders
bei kleinen Vögeln. So mussten zum Beispiel - besonders an den Schlafplätzen
im Schilf - etwa 60.000 Rauchschwalben bei uns beringt werden, um drei
Funde aus den Winterquartieren dieser Art zu erlangen! Diese bestätigten
dann auch das bisher angenommene Winterquartier, nämlich Zentralafrika:
eine Rauchschwalbe (997291) wurde am 18.11.1981 bei Brazzaville 6000 km
S geschossen (!), eine weitere (1783323) am 21.1.1984 bei Bandundu 6100
km SSE getötet. Ein Nestling (A845531), der am 5.6.1973 in Hunsdorf
beringt wurde, konnte schon am 26. Oktober in Ghana (4864 km S) wiedergemeldet
werden, möglicherweise noch auf dem Durchzug. Es handelt sich hier
um die grössten Entfernungen von hierzulande beringten Vögeln.
Rückmeldungen vom afrikanischen Kontinent aus der Mittelmeergegend
(z.B. Algerien, etwa 2000 km) sind relativ zahlreich und können sowohl
Arten betreffen, die dort überwintern (z.B. Hausrotschwanz), als auch
Transsaharazieher, die nur dort durchziehen (z.B. Rauchschwalbe).
Nach Nordosten hin besteht die Möglichkeit von ähnlich grossen
Entfernungen bei Vögeln aus der UdSSR, die bei uns überwintern
oder durchziehen. So landete eine bei uns durchziehende Rauchschwalbe (1375512)
3347 km ENE bei Mishkino. Die Rückfundchancen aus diesen wenig dicht
bevölkerten sibirischen Gebieten sind jedoch klein und unsere diesbezüglichen
Ringfunde selten.
Schnelligkeit ist Trumpf.
Gelegentlich will es der Zufall, dass ein auf dem Zuge beringter Vogel
kurz darauf anderswo wiedergefunden wird. Dies erlaubt dann Rückschlüsse
auf die Geschwindigkeit, mit der solche Wanderungen vor sich gehen können.
Eine durchschnittliche Tagesleistung von etwa 50 km ist ganz gängig
bei Mittelstreckenziehern. Bei Langstreckenziehern jedoch können bedeutend
längere Etappen vorkommen. So zum Beispiel war ein schwedischer Teichrohrsänger
(1545513), der am 27.8.1970 bei Ehnen kontrolliert wurde, vier Tage zuvor
922 km NNE beringt worden, was Midestetappen von etwa 250 km pro Nacht
- diese Art ist Nachtzieher - ausmacht! Es ist wohl einleuchtend, dass
derartige Fähigkeiten im Falle längerer Schlechtwetterperioden
sowie beim Überqueren von Meeren und Wüsten lebenswichtig sind.
Treu oder untreu?
Dass die Schwalben bei ihrer Rückkehr im Frühjahr in der Lage
sind, ihr Nest vom Vorjahr wiederzufinden, war schon längst vor dem
Aufkommen der Beringungsexperimente bekannt: die Markierung mit einem einfachen
Bindfaden am Bein konnte diesen Beweis schon erbringen. Nachweise von sogenannter
Brutplatztreue - der Vogel kehrt an den letztjährigen Brutplatz zurück
- wurden eine ganze Menge von unseren Zugvögeln bekannt, auch Langstreckenzieher
und Nachtzieher, die auf Distanzen von tausenden Kilometern ihren Brutplatz
genau wiederfinden können. Auch Jungvögel vieler Zugvogelarten
wurden bei uns später in der Nähe ihres Geburtsorts kontrolliert
(Geburtsortstreue), was aber nicht heisst, dass dies eine unumstössliche
Regel sei: Fremdansiedlungen, das heisst eine Ansiedlung an einem anderen
Ort als dem Geburtsort, wurden ebenfalls schon nachgewiesen, manchmal über
grössere Entfernungen. So ist zum Beispiel eine nestjung in Köln
beringte Türkentaube (5051614) schon am 17.4.1957 verpaart in Esch-Alzette
kontrolliert worden (172 km SW).
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Bekannt ist, dass Rauchschwalben in nachfolgenden Jahren vielfach ihrem Geburtsort treu bleiben. Nicht so bekannt ist jedoch die Tatsache, dass auch Treue zum Überwinterungsplatz gelegentlich festgestellt wurde, z.B. beim Erlenzeisig. |
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Ob dieser junge Mäusebussard wohl auch ein "Methusalem" wird? Bisher erreichte der langlebigste Luxemburger Vogel (auch ein Mäusebussard) ein Alter von 18 Jahren und 10 Monaten! |
Trotz einer ganzen Menge Regeln und Normen, die sich aus den Beringungsexperimenten
ablesen liessen, trotz des fabelhaft gut funktionnierenden Orientierungssinnes
der Zugvögel, kommen immer wieder "Ungereimtheiten" durch die Ringfunde
an den Tag, für die man keine echte Erklärung finden kann. Eine
am 14.3.1966 - also in der Periode des Frühjahrszugs - bei Esch beringte
Rohrammer (9A10986) wurde am 5.4.1966 aus Norditalien, also 660 km SE,
wiedergemeldet. Normalerweise wandert diese Art im Frühjahr von uns
aus nach Nordosten, was uns durch alle anderen, zahlreichen Rückmeldungen
aus Osteuropa und Skandinavien bestätigt wurde.
Eine 1971 als Nestling beringte Luxemburger Kohlmeise wurde im Oktober
1974 in Lettland kontrolliert, also 1235 km NE! Dass Kohlmeisen aus dem
baltisch-russischen Raum den Winter bei uns verbringen können, wurde
mehrmals durch Ringfunde belegt, auch wenn es sich bei dieser Art nicht
um klassische Zugvögel handelt.
So hat die Natur anscheinend einen kleinen Teil sogenannte "Unordnung"
in ihre Ordnung eingebaut, die im Katastrophenfall, wo quasi alle ordnungsgemäss
handelnden Exemplare zugrunde gehen würden, eine Chance zum Überleben
der Art darstellen kann ...
Raymond Peltzer