REGULUS Wiss.Ber. (ISSN 1727-088X) Nr 18 (2000), S. 1-13

Der Kiebitz in Luxemburg
Abschließender Bericht zu einer 1998 durchgeführten landesweiten Erfassung der Revierpopulation.

Raymond Streicher
Zusammenfassung: Die Erfassung der territorialen Frühjahrspopulation des Kiebitzes auf Landesebene (mit Ausnahme eines ausgedehnten Waldgürtels im unteren und mittleren Ösling) zwischen dem 1. März und 1. Juni 1998 hat Vermutungen über einen drastischen Bestandsrückgang, der sich schon in einer vor zehn Jahren durchgeführten Kartierung andeutete, leider als wahr erwiesen. Insgesamt konnten nur noch 49 Revierpaare nachgewiesen werden. Alle Vorkommen beschränken sich auf das Gutland, mit Schwerpunkten in der Minettegegend. Trotz Umstellung auf Sekundärbiotope scheint die Art also bei einer ungebrochen intensiven Landbewirtschaftung und einem ungebremsten Flächenverbrauch unweigerlich den Kürzeren zu ziehen.

Summary: Survey of territorial Lapwing Vanellus vanellus in Luxembourg in 1998. The territorial population of Lapwing was mapped between 1 March and 1 June 1998 in all suitable areas of Luxembourg (the uninterrupted belt of forestland of the lower and central Oesling was excluded for obvious reasons). It revealed that claims as to a dramatic decrease in population size, which a by then ten-year-old survey had already hinted at, were unfortunately true. All in all, only 49 territorial pairs could be mapped. While the Oesling is no longer home to the Lapwing, there are small concentrations on the heavy soils of the Minette region. Yet, despite having adapted to secondary breeding habitats, the Lapwing population seems unable to resist the sweep of an unrelenting agricultural landuse and an unstoppable building activity.

Résumé: Recensement des territoires du Vanneau huppé Vanellus vanellus au Luxembourg en 1998. Le recensement de la population territoriale du Vanneau huppé au Luxembourg (à l'exception du massif forestier de l' Oesling du sud et du centre) a montré que les soupçons concernant la disparition de l'espèce du territoire luxembourgeois qui avaient déjà été articulés en 1988, se sont malheureusement révélés comme bien fondés. En tout, seuls 49 sites territoriaux ont pu être répertoriés. L'Oesling n'abrite plus de vanneaux huppés tandis qu'au Gutland, ce sont en principe quelques rares terrains dans la région de la Minette qui abritent la majorité des individus. Quoique l'espèce se soit adaptée à des biotopes secondaires, elle ne semble pas à même de pouvoir survivre dans le cadre d'une agriculture imperturbablement intensive et d'une politique de construction effrénée.

1. Einleitung

Als V. Wassenich im Jahre 1967 eine erste Bilanz der raschen Ausbreitung des Kiebitzes als Brutvogel in Luxemburg nach seiner erstaunlichen Rückkehr im Jahre 1960 zog, meinte er: “Es wird eine lohnende Aufgabe sein, nach einer Reihe von Jahren nochmals auf das behandelte Thema zurückzukommen. Womit ich die einheimischen Feldbeobachter anspornen möchte, quantitative Erhebungen der Vogelwelt – also gleichzeitig auch solche des Kiebitzes – in den Vordergrund ihrer lokalfaunistischen Betätigung zu stellen” (Wassenich, 1967).

Nach mehr als 30 Jahren besteht in der feldornithologischen Arbeitsgemeinschaft der Lëtzebuerger Natur- a Vulleschutzliga dieselbe Einstimmigkeit über die Wichtigkeit quantitativer Bestandsaufnahmen, um aussagekräftige Daten zu liefern und gegebenenfalls wichtige Schritte zum Schutz bestimmter bei uns brütenden, oder einfach nur überwinternden oder durchziehenden Arten einleiten zu können (“Atlas der Brutvögel Luxemburgs” Melchior et al., 1987).

Deshalb sind die Verantwortlichen der feldornithologischen Arbeitsgemeinschaft seit einigen Jahren dazu übergegangen, schwerpunktmäßige Bestandserfassungen für bestimmte Arten durchzuziehen. Auf diese Art und Weise konnte nicht nur die Arbeitsgruppe als solches einen qualitativen Motivationsschub verzeichnen, sondern wurden auch zahlreiche aufschlussreiche Momentaufnahmen für das ganze luxemburgische Territorium gesammelt. Noch wichtiger scheint aber, dass mit Hilfe klar definierter Arbeitsmethoden Zahlen gesammelt werden konnten, die mit zukünftigen Erhebungen verglichen werden können, so dass dann zuverlässige Aussagen zu Bestandsentwicklungen ermöglicht werden. In den letzten Jahren waren bekanntlich Wiesenvögel wie Wiesenpieper, Schafstelze und Braunkehlchen, aber auch Rotmilan, Schwarzmilan, Saatkrähe oder Kormoran Zielobjekte solcher systematischen Erhebungen. Die Bestandserfassung der luxemburgischen Kiebitzpopulation im Jahr 1998 fügt sich in den Rahmen dieser grundlegenden Philosophie und Vorgehensweise der feldornithologischen Arbeitsgemeinschaft ein.

2. Anlass und Ziele der Kiebitzkartierung

2.1. Die Zielart: Der Kiebitz – trotz Anpassungsfähigkeit gefährdet

Der Kiebitz ist eine der bekanntesten und beliebtesten sowie zahlreichsten Limikolen Europas. Sein riesiges Verbreitungsgebiet reicht von der gemäßigten und mediterranen Zone W-Europas bis nach Ussurien in Ostsibirien. Seine nördliche Verbreitungsgrenze liegt in Skandinavien bei 69-71° N, nimmt nach Osten hin jedoch zunehmend nach Süden bis auf 57° N ab. Im Süden sind Italien und Griechenland zwar weitgehend kiebitzfrei, jedoch gibt es punktuelles Auftreten bis nach Südwest-Spanien und Nord-Afrika (“Die Brutvögel Mitteleuropas: Bestand und Gefährdung”, H.-G. Bauer und P. Berthold, 1996). Sein Bestand wird im Moment auf 380.000 bis 530.000 Brutpaare geschätzt, wobei die größten Vorkommen sich in den Niederlanden, Deutschland und Polen konzentrieren (Bauer / Berthold).
Der Kiebitz ist ein typischer Bewohner flacher, offener und wenig strukturierter Landschaften. Moore, Feucht- und Nasswiesen, sowie Überschwemmungswiesen und Niederungen stellen ideale Nahrungs- und Brutbiotope dar, unter anderem weil hier die Vegetation spärlicher und später aufkommt. Da solche naturnahen Biotope immer seltener werden, ist die Art mittlerweile auf trockenere Standorte wie Äcker, Felder, und Brachen ausgewichen. Ein Hauptproblem besteht allerdings in der intensiven landwirtschaftlichen Bearbeitung solcher Flächen. Das Resultat dieser allgemeinen fortwährenden Beeinträchtigung des Brutgeschäfts ist, dass der Bruterfolg in den meisten Ländern Westeuropas nicht ausreicht, um den Bestand auf lange Sicht zu halten, so dass der Kiebitz mittlerweile auf den meisten Roten Listen der bedrohten Vögel Europas zu finden ist.

2.2. Anlass und Ziele der luxemburgischen Kiebitzkartierung

1998 war ein willkommenes Stichdatum zur Erfassung der Kiebitzpopulation, da die letzte systematische Zählung genau zehn Jahre zurücklag. Des weiteren herrschte bei der Bestandseinschätzung des Kiebitzes eine gewisse Uneinigkeit unter den luxemburgischen Ornithologen, da einzelne Landesteile bereits vom Rückgang betroffen waren, als die Art in anderen Gegenden noch normal vertreten war. Mittels einer präzisen Arbeitsmethode sollte diese trotz allem leicht festzustellende Art so einfach und genau wie möglich kartiert werden, und zwar in allen Landesteilen, die sich als Lebensräume eignen. (Dies erklärt, warum das waldreiche untere und mittlere Ösling mit seinen tief eingeschnittenen, engen Tälern nicht in Betracht gezogen wurde.) Gleichzeitig war die Arbeitsmethode so konzipiert, dass sie auch nach mehreren Jahren noch genau nachvollziehbar ist, um aussagekräftige und richtige Vergleiche machen zu können, wobei sich die AG im klaren darüber war, dass besonders beim Kiebitz eine solche Bestandsaufnahme mit Vorsicht zu genießen bleibt, da die Art notorisch enormen und bislang nicht eindeutig zu erklärenden Bestandsschwankungen unterliegt.

3. Arbeitsmethoden

3.1. Vorarbeiten

Zuerst wurde die zu untersuchende Gesamtfläche in 7 Regionen mit insgesamt 9 (später 18) Gebieten unterteilt. Bei der Festlegung dieser Areale spielten Faktoren wie Topographie, aber auch Größe und praktische Begehbarkeit für die unterschiedlichen Beobachtergruppen eine ausschlaggebende Rolle. Die Gruppen selbst bestanden meist aus 2 bis 5 Beobachtern. Für jede Gruppe gab es einen Gebietsverantwortlichen, der für das Einsammeln und Weiterleiten der Daten zuständig war. Insgesamt beteiligten sich rund 35 Ornithologen an der Bestandserfassung.

3.2. Arbeit im Gelände

Die Feldarbeit lief nach folgendem Schema ab:

In einem Zeitraum, der sich vom 1. März bis zum 1. Juni 1998 erstreckte, sollten allgemein alle territorialen, d.h. brutverdächtigen Vögel gezählt werden. Der sich herausstellende Wert würde dann durch zwei geteilt, um die Zahl der Revier- bzw. Brutpaare zu ermitteln (nach G. Kooiker, in “Der Kiebitz”, G. Kooiker und C.V. Buckow, SS. 43/44). Es war also nicht das Hauptanliegen, gezielt nach Nestern oder Jungvögeln zu suchen, da dies die Arbeit wesentlich erschwert hätte, ohne aber unabdingbare Informationen im Rahmen des festgesteckten Zieles liefern zu können.

Die Periode vom 1. März bis zum 1. Juni wurde in folgende drei Abschnitte aufgeteilt:

a) Balz ( vom 1.3. -- 11.4.)

In der Balzperiode sollten alle Areale mindestens zweimal systematisch nach territorialen Vögeln abgesucht werden, wobei die aus den Vorjahren bekannten Reviere zuerst zu bestätigen waren.

b) Brut ( vom 12.4. -- 30.4.)

In der Brutperiode sollten die Areale noch ein bis zweimal auf territoriale Ex. hin kontrolliert werden. Dabei sollte auch versucht werden, eventuell aufgegebene Brutplätze festzustellen.

c) Aufzucht (vom 1.5. -- 1.6.)

Die dritte Kartierperiode war fakultativ. Hauptakzent lag hier auf der Erfassung von Jungvögeln. Weitere erfolgreiche Brutpaare wurden zwar erfasst, aber nicht zur bereits ermittelten Gesamtzahl der Revierpaare hinzugezählt. Hiermit sollten Mehrfachzählungen derselben Individuen vermieden werden.

3.3. Kriterien (nach Kooiker, 1997)

Um eindeutig brutverdächtige Ex. zu erfassen mussten Verhaltensschemata definiert werden, die als sichere Hinweise auf Revierbesetzung gelten konnten. Hier wurden vier Schemata herauskristallisiert, welche in einer Anleitung zusammengefasst wurden und den einzelnen Beobachtern als Leitlinien zur Einschätzung ihrer Beobachtung dienen sollten. Die vier Kriterien, auf die man aufpassen sollte, waren:
a) Luftbalz
b) Bodenbalz
c) Aufflüge bei Störung und Angriffe gegenüber vermeintlichen Feinden
d) Wachende Partner

3.4. Verwaltung der gesammelten Daten

Die gesammelten Daten wurden anschließend auf zwei verschiedene Meldebögen sowie auf eine Karte im Maßstab 1:100.000 (oder 1:20.000) eingetragen. Auf dem ersten Meldebogen wurden alle Beobachtungen, die nach den festgelegten Kriterien gemacht wurden eingetragen. Des weiteren konnten hier mittels systematisierter Abkürzungen wichtige Bemerkungen zum Biotop gemacht werden.

Für Beobachtungen, welche eindeutig auf Revierpaare schließen ließen, wurden als nächstes Revierkarten ausgefüllt. Somit wurde es möglich, jedes einzelne Paar zu verfolgen und zu dokumentieren.

Die Karten im Maßstab 1:100.000 dienten der schnellen Orientierung im Feld und der Überprüfung der Koordinaten bei der Auswertung.

3.5. Bewertung der Arbeitsmethoden

Im allgemeinen wurden sowohl Beobachtungskarten als auch Revierkarten sorgfältig ausgefüllt. Dabei wurde offensichtlich, dass sie nicht nur eine standardisierte Kartierungsarbeit ermöglichen, sondern auch die Auswertung um ein vielfaches vereinfachen. Gerade deshalb scheint es an dieser Stelle wichtig hervorzuheben, dass eine Auswertung dadurch erschwert wird, dass Meldungen ohne dazugehörende Karten eingeschickt werden.

4. Der Kiebitz in Luxemburg

4.1. Das 19. Jahrhundert bis 1960

Im neunzehnten Jahrhundert brütete der Kiebitz wohl nur ausnahmsweise auf dem Territorium des heutigen Großherzogtums Luxemburg. Die Angaben von Mohimont (1847) beziehen sich wahrscheinlich ausschließlich auf die heutigen belgischen Ardennen. Laut A. de la Fontaine (1867) besiedelte der Kiebitz als spärlicher Brutvogel die Ardennen von St.-Hubert bis nach Weiswampach, genaue Angaben zu Bruten auf luxemburgischem Territorium machte er jedoch nicht. Im Jahre 1897 erwähnt der gleiche Autor ein Brutvorkommen an den Kockelscheuer Weihern, das vor den 60er Jahren erloschen sein soll, stuft den Kiebitz aber gleichzeitig als zweifelhaften Durchzügler oder Standvogel ein.

V. Ferrant (1926) erwähnt, dass die Art des öfteren bei Trotten, Oberbeßlingen und Deifelt brütet; auch Morbach spricht von fünf Bruten im Jahre 1934 im Kanton Clervaux. Ansonsten scheint der Kiebitz aber am Anfang des Jahrhunderts eher Durchzügler und spärlicher Wintergast gewesen zu sein. Die rezentesten Nestfunde stammen von 1936 und 1939. Während rund zwanzig Jahren verschwand der Kiebitz dann ganz von der Bildfläche. Als Ursachen des Erlöschens der Population sah V. Wassenich später Urbarmachung, Melioration und Aufforstung.

4.2. Die sechziger Jahre bis Ende der siebziger Jahre

Als M. Jaeger, N. Flammang und V. Wassenich 1960 auf einem Saatfeld bei Düdelingen nach langer Zeit wieder Brutpaare antrafen, waren sie sich wohl der Wichtigkeit dieser Entdeckung bewusst, da es sich hierbei um die ersten sicheren Brutnachweise bzw. Brutversuche für das Gutland überhaupt handelte. Die Art breitete sich dann rasch aus. Im nächsten Jahr waren es sogar schon mindestens “5-6 Brutpaare” bei Nörtzingen, und als V. Wassenich im Jahre 1967 eine erste Zwischenbilanz zog, konnte er von einer “Expansionswelle” reden, die er mit derjenigen der Türkentaube verglich, ein rasanter “Ausbreitungsvorgang in Landesteilen, wo noch nie zuvor Kiebitze gebrütet” hatten. Die Kriterien, die er damals zur Zählung der Brutpaare festlegte, waren übrigens praktisch mit denen von 1998 identisch. Insgesamt bestand die Population damals aus minimal 84 Brutpaaren, konnte aber laut Wassenich “bedenkenlos auf etwa 100 Brutpaare veranschlagt werden.”

Im Atlas der Brutvögel Luxemburgs stellen die Verfasser (E. Melchior, E. Mentgen, R. Peltzer, R. Schmitt, J. Weiss) 1987 mit Genugtuung fest, dass der Kiebitz mit Ausnahme des mittleren Öslings, der Stadt Luxemburg und ihren Vororten, sowie der Moselhänge, in allen Landesteilen, wenngleich in unterschiedlichen Siedlungsdichten, brütete.
 

Karte 1: Verbreitungskarte des Kiebitz aus dem Atlas der Brutvögel Luxemburgs (Melchior et al, 1987). Die Daten stammen aus den Jahren 1976 – 1980 (Viereck bedeutet nachgewiesene Brut)

Das Wiederauftreten des Kiebitz wurde dadurch erklärt, dass die Art sich auf neue Biotope umgestellt hatte. Vornehmlich wurden jetzt Äcker, feuchte Wiesen (sofern sie noch bestanden), Felder mit niedrigen Saaten, und Brachen besiedelt. Obschon die Gelegeverluste durch intensive Landwirtschaft damals schon als “recht hoch” betrachtet wurden, schlussfolgerten die Verfasser, dass “die Art derzeit nicht gefährdet scheint”. Leider erfuhr dieser Optimismus schon bei der nächsten Bestandsaufnahme einen Dämpfer.

4.3. Die Bestandsaufnahme von 1988

Die Ergebnisse der Brutpaarkartierung von 1988 waren ernüchternd. Damals wurde im Laufe des ersten Halbjahres die Brutpopulation des Kiebitzes landesweit erfasst, ohne allerdings auf eine ähnlich standardisierte Methode wie 1998 zurückzugreifen. Die zusammengetragenen Informationen ließen einen deutlichen Rückgang der Population (mit starkem Nord-Süd Gefälle!) im Vergleich zu den siebziger Jahren erkennen.

Insgesamt wurden 87 Kolonien mit mindestens 215 Brutpaaren gezählt, welche sich wie folgt über das Land verteilten:

Karte 2: Brutverteilung des Kiebitz im Jahr 1988. Die Zahlen in den Quadraten geben die Anzahl der Brutpaare an (4;16 = 4 Kolonien mit zusammen 16 Brutpaaren, ? = Brutvorkommen nicht sicher). J. Weiss.

Auffallend ist der starke Schwund auf dem Öslinger Hochplateau; da sich das mittlere Ösling von der geographischen und pflanzenökologischen Beschaffenheit sowieso nicht als Brutbiotop anbietet, konnte man fast von einem kiebitzfreien Ösling reden. Auch im Westen und im nördlichen Gutland schien die Population stark gelitten zu haben. Während die Populationen im Osten größtenteils stabil waren, beherbergten der Süden und Südwesten des Landes eindeutig die stärksten Populationen, mit zum Teil etwas größeren Kolonien.

4.4. Die Bestandsaufnahme von 1998

Im Vergleich zu den Daten von 1988 sind die Daten die 1998 zusammengetragen wurden wie eine Grabrede auf den Kiebitz in Luxemburg. In der ersten Periode, d.h. der Balzperiode, wurden insgesamt 49 Kiebitzpaare gezählt, welche sich folgendermaßen über das Land verteilten:

Karte 3: Vorkommen des Kiebitz im Jahr 1998. Die Zahlen in den Quadraten geben die Zahl der Revierpare an.

Das nördliche Hochösling, mit seinen verbliebenen sumpfigen und nährstoffarmen Flächen, scheint für den Kiebitz etwas überraschend wenig attraktiv. So wurden in diesem Teilgebiet in der ersten Beobachtungsperiode nur insgesamt zwei Revierpaare gezählt (eins davon auf einer Mähwiese, das andere in einem Naturreservat). Da diese beiden Revierpaare in der zweiten und dritten (fakultativen) Kartierungsperiode nicht mehr beobachtet wurden, können wir davon ausgehen, dass die Art im Norden des Landes nicht mehr brütet.

Auch der Westen (Kanton Redingen und nördlicher Teil des Kantons Capellen), sowie das Alzettetal sind wie leergefegt. Hier wurden überhaupt keine revieranzeigenden Exemplare beobachtet!

Im südlichen Teil des Kantons Capellen wurden zwar mehrere Revierpaare festgestellt, jedoch wurde bei diesen Exemplaren verstärkt beobachtet, wie durch landwirtschaftliche Maßnahmen wie "Wiseschleefen" Bruten aufgegeben wurden und die Paare sich in der näheren Umgebung einen neuen Nistplatz suchen mussten. Insgesamt wurde in dieser Region nur ein Paar mit einer vollständigen Brut von vier pulli festgestellt.

Im Osten hat die Art sich zwar noch behauptet, aber der Bestand ist stark geschwunden. Da hier nach dem 11. April nicht mehr systematisch nach Brutpaaren gesucht wurde, bleibt der Bruterfolg unklar. Wenn man jedoch bedenkt, dass mit Ausnahme von Koedingen (Nassweide) alle Reviere auf Äckern oder vorjährigen Maisfeldern waren, scheint Optimismus nicht angebracht.

Größere Ansammlungen gab es zwar noch auf den zu starker Nässe neigenden (schweren, lehmigeren) Böden im Süden, aber auch dort konnten die Bestände von 1988 nicht mehr erreicht werden. Vor allem wurden kaum noch größere Kolonien gemeldet, was darauf hinweist, dass sich nur noch wenige geeignete Brutbiotope vorfinden lassen.

Für die zweite und dritte Beobachtungsperiode liegen weniger Informationen vor. Allgemein bleibt festzuhalten, dass nur die schweren, stark vernässten bindigen Untergründe im Süden es den Kiebitzen erlauben, ihr Brutgeschäft zu vollenden. Zur Bestandssicherung der luxemburgischen Population reicht der geringe Bruterfolg aber keinesfalls.

Bei der Aufteilung der Revierpaare nach Biotopen, ergibt sich folgendes Bild:


Diagramm 1: Aufteilung der Revierpaare nach Biotopen.

Sowohl die Äcker im Osten des Landes als auch die Mähwiesen und Viehweiden im Ösling und im Kanton Capellen erwiesen sich also als problematische Untergründe. Wegen der nassen Witterung im Frühling 1998 konnten die meisten Äcker erst zu einem Zeitpunkt bestellt werden, wo die Kiebitze bereits fest brüteten, was dann natürlich vermehrt zur Brutplatzaufgabe führte. Intensive Bearbeitung führte auch auf den Mähwiesen zu häufigen Störungen und ist wohl verantwortlich für das gehäufte Pendelverhalten der Kiebitze, das zu späteren Bruten an anderen Stellen führte.

Größere Ansammlungen gab es nur auf den Industriebrachen (welche sich meist durch Staunässe auszeichnen) und feuchten Mähwiesen im Süden des Landes, wobei zwei Fünftel (exakt 20 Paare) der gesamten luxemburgischen Revierpopulation auf nur drei Arealen (Industriezone Düdelingen, Weiler-la-Tour, Industriezone Niederkorn) brüteten.

Mittlerweile ist aber leider die größte Kolonie (neun Revierpaare) ihres Brutareals durch die bauliche Erschließung der Brache in der Industriezone von Niederkorn beraubt worden.

5. Schlusskommentar und Ausblick

Wie die Kartierung der Wiesenvögel im Jahre 1995 hat die Zählung der Kiebitzrevierpaare den Niedergang der bodenbrütenden Arten in Luxemburg in erschreckender Weise deutlich gemacht.

Der Kiebitz ist zwar für große Bestandsschwankungen bekannt, jedoch gibt sein Rückgang – genau wie der meisten Arten der offenen Landschaft – Anlass zur Sorge. Es ist kaum daran zu zweifeln, dass die andauernde Intensivierung der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten dem Kiebitz schwer zu schaffen macht. Nicht nur geraten die Kiebitze beim Brutgeschehen enorm unter Zeitdruck, sondern die früher geeigneten Brutareale werden durch intensive Bearbeitung, Düngung, insbesondere den ständig steigenden Stickstoffeinsatz, und Einsatz von Chemikalien einfach als Brutbiotope untauglich.

Im Süden des Landes stehen zwar momentan noch nicht erschlossene "Ausweichflächen" in Form von Industriebrachen und Feuchtwiesen zu Verfügung. Die Frage stellt sich aber: wie lange noch? In der Tat droht nicht nur Gefahr durch die Landwirtschaft, sonder ein unaufhaltsamer allgemeiner Landverbrauch wird sicherlich noch weiter und vielleicht stärker dazu beitragen, dem Kiebitz (und nicht nur ihm!) in Luxemburg keine Überlebenschance zu lassen.

Dass einzelne Naturschutzgebiete eine Art auf Dauer nicht retten können, ist bekannt. Unsere luxemburgische Vogelwelt kann nur erhalten werden, wenn wir ihr auch genügend Entfaltungsmöglichkeiten geben. Hierzu gehört einerseits die Umkehr zu einer weniger intensiven, aber qualitativ besseren Landwirtschaft. Des weiteren muss aber auch erkannt werden (und auch dies gehört zur Nachhaltigkeitsdebatte!), dass wir nicht mit dem derzeitigen unverantwortlichen Landverbrauch weiterfahren können. Geschieht dies nicht, wird die luxemburgische Liste der bedrohten Vogelarten (welche im Vergleich zu anderen europäischen Ländern schon überdurchschnittlich lang ist!) noch länger werden.

6. Danksagung:

Die Feldornithologische Arbeitsgruppe der Lëtzebuerger Natur-a Vulleschutzliga bedankt sich hiermit beim Musée National d'Histoire Naturelle für die finanzielle Unterstützung, ohne die dieses Projekt nicht möglich gewesen wäre.

Der Verfasser bedankt sich ebenfalls bei folgenden freiwilligen Mitarbeitern, ohne die diese Revierpaarkartierung sowie der vorliegende Abschlussbericht nicht zustande gekommen wären:

Bechet G.; Bertemes P.; Clemens J.; Conrad E.; Conrady G.; Conzemius T.; Delleré M.; Diederich J.; Diederich T.; Felten P.; Gloden R.; Heidt C.; Huttert E.; Jans M.; Kalmes P.; Kiefer J.; Kinnen F.; Konter A.; Lorgé P.; Melchior E.; Mischo P.; Moes M.; Muller F.; Nosbusch P.; Paler N.; Schmitz J.-P.; Schmitz R.; Schweitzer M.; Theves C.; Thill J.; Ulmerich M.; Weiss J.; Wester R.

7. Literatur:

BAUER, H.-G. & P. BERTHOLD (1996): Die Brutvögel Mitteleuropas. Bestand und Gefährdung. Aula-Verlag, Wiesbaden
KOOIKER, G. & C.V. BUCKOW (1997): Der Kiebitz: Flugkünstler im offenen Land. Aula-Verlag, Wiesbaden
MELCHIOR, Ed. et al. (1987): Atlas der Brutvögel Luxemburgs, LNVL, Luxemburg
DE LA FONTAINE, A. (1865/66): Faune du pays de Luxembourg. Oiseaux. Inst. Grand-Ducal, Luxembourg
DE LA FONTAINE, A. (1897): Trente années d'observations sur les migrations des oiseaux de la faune luxembourgeoise. Oiseaux. Inst. Grand-Ducal, Luxembourg
FERRANT, V. (1926): Faune du Grand-Duché de Luxembourg. Oiseaux. Inst. Grand-Ducal, Luxembourg
HULTEN, M. (1960): Kiebitze (Vanellus vanellus) als Brutvogel bei Düdelingen. Regulus 6:109-114
WASSENICH, V. (1962): Weitere Kiebitz-Bruten (Vanellus vanellus) im luxemburgischen nachgewiesen. Regulus 7:138-149
WASSENICH, V. (1967): Der gegenwärtige Brutbestand des Kiebitzes (Vanellus vanellus) in Luxemburg. Regulus 9:103-112