REGULUS Wiss. Ber. (ISSN 1727-088X) Nr 11 Dezember 1992, S. 1-17

Avifaunistische Untersuchung im Flurbereinigungsgebiet Flaxweiler
Geländeaufnahmen: Arbeitsgemeinschaft Feldornithologie der "Lëtzebuerger Natur- a Vulleschutzliga"
Auswertung und Redaktion: Marc Moes

1. Einleitung
Die vorliegende Untersuchung ist eine biologische Begleitstudie zum Flurbereinigungsverfahren Flaxweiler, ein Verfahren, das sich zur Zeit der Drucklegung des vorliegenden Heftes "Regulus - Wissenschaftliche Berichte" noch in der Planungsphase befindet. Sie wurde durch die Arbeitsgemeinschaft Feldornithologie der "Lëtzebuerger Natur- a Vulleschutzliga" im Auftrag des Umweltministeriums erstellt und soll die von einem Planungsbüro ausgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung ergänzen sowie zusätzliche konkrete Argumente zur Einbringung ökologischer Gesichtspunkte in die Planung und Durchführung des Flurbereinigungsverfahrens liefern.
Durch die aktuelle, infolge des Baus der Autobahn Luxemburg-Trier noch augenscheinlicher gewordene Zweiteilung des Flurbereinigungsgebietes Flaxweiler in ein gut erhaltenes, reich strukturiertes Teilgebiet und in ein gänzlich ausgeräumtes Teilgebiet, das bereits jetzt "flurbereinigt" aussieht, ermöglicht diese Untersuchung auch den Vergleich der Vogelwelt dieser verschiedenen Erscheinungsformen unserer Landschaft. Allgemein liefert sie wohl einen guten Überblick über die Vogelwelt der luxemburgischen Agrarlandschaft.
Die gesammelten Daten können außerdem als Vergleichsmaterial dienen bei einer unter den gleichen Bedingungen nach der Flurbereinigung durchgeführten späteren Untersuchung. Auf diese Weise ist möglich die Folgen der Flurbereinigungsmaßnahmen für die Avifauna zu dokumentieren.
Als Bioindikatoren stellen Vögel eine besonders geeignete Tiergruppe dar: sie sind vergleichsweise leicht feststell- und bestimmbar, sie sind ökologisch und taxonomisch gut untersucht, zudem nehmen sie ökologisch wichtige Positionen ein und weisen in ihren Reihen sowohl spezialisierte Arten mit den unterschiedlichsten ökologischen Ansprüchen als auch Ubiquisten auf.
1964 trat das luxemburgische Flurbereinigungsgesetz in Kraft. 1989 waren 10 landwirtschaftliche Flurbereinigungen mit einer Gesamtfläche von 7.974 ha und 6 Flurbereinigungen im Weinbau mit einer Gesamtfläche von 662 ha realisiert, 2 weitere Verfahren mit einer Gesamtfläche von 989 ha standen in Ausführung und das Flurbereinigungsverfahren Flaxweiler trat, in die Vorbereitungsphase (OFFICE NATIONAL DU REMEMBREMENT, 1989). Über die ökologischen Folgen dieser Verfahren liegen praktisch keine Daten vor.

2. Beschreibung des Untersuchungsgebietes
Das Untersuchungsgebiet (6°21'E, 49°40'N) umfaßt das gesamte Gebiet des Flurbereinigungsverfahrens Flaxweiler mit Ausnahme von ca. 107 ha Wald, da diese obwohl sie in den Verfahrensperimeter einbezogen wurden, nicht von den eigentlichen Flurbereinigungsmaßnahmen betroffen werden. Es verbleiben somit ca. 616 ha Agrarflächen, die auf ihre Avifauna hin untersucht wurden. Die Siedlungsbereiche Flaxweiler und Buchholz wurden hierbei ausgeklammert, da sie nicht im Flurbereinigungsperimeter liegen.
Das Gebiet umfaßt von der Gemeinde Flaxweiler die Sektionen Flaxweiler, Buchholz und kleine Teile der Sektion Oberdonven sowie ein kleines Stück der Gemeinde Betzdorf (Sektion Mensdorf).
Das Untersuchungsgebiet liegt im Bereich des Keupers. Nur an den Hängen des "Widdebierg", einer im Nordwesten des Untersuchungsgebietes gelegenen Anhöhe des Luxemburger Sandsteines reicht letzteres Substrat auch in den Flurbereinigungsperimeter hinein. Im Nordwesten des Untersuchungsgebietes finden sich schwere Tonböden, im Nordosten größtenteils Lehm-, im Südosten teilweise tiefgründige Lehmböden und im Südosten hauptsächlich schwere und leichte Tonböden.
Das Dorf Flaxweiler liegt auf einer Höhe von 258m über NN. Mit Ausnahme der Ost-, Süd- und Südwesthänge des "Widdebierg" (386m über NN) zeichnet sich das Gebiet durch geringe Reliefenergie aus. Es wird durch einen von Südwest nach Nordost verlaufenden ca. 900m langen, unbewaldeten Kamm und durch die neue Trasse der Autobahn Luxemburg-Trier in zwei sehr unterschiedliche Teilgebiete untergliedert. Im nördlichen Teil liegt das Dorf Flaxweiler, im südlichen die Siedlung Buchholz.
Das nördlich gelegene Teilgebiet ist vergleichsweise kleinräumig gegliedert und stellt mit den Hängen des "Widdebierg" ein typisches Beispiel für die alte, reich gegliederte Kulturlandschaft des Südostens Luxemburgs dar. Hier findet sich eine Vielzahl von Obstgärten, Hecken, Obstbaumreihen, Einzelbäumen, Strauchgruppen, verbuschenden Parzellen und verschiedenen Kleinbrachen. Dieses Teilgebiet wird in nordöstlicher Richtung von den Bachläufen des "Lochebaach" und des "Flaxweilerbaach" durchlaufen; Ufervegetation fehlt weitestgehend. Neben dem Kleinstrukturreichtum sind der Quellbereich des "Flaxweilerbaach" am Osthang des "Widdebierg" und als größeres Landschaftselement ein verbuschender Halbtrockenrasen am Nordrand des Flurbereinigungsgebietes ("Banzelt") erwähnenswert.


Der "Widdebierg": Obstgärten, Hecken verschiedenster Ausprägung, Baumreihen, Einzelsträucher und Geländestufen sind an den Abhängen des "Widdebierg" noch in großer Anzahl vorhanden und bedingen zusammen mit der Grünlandnutzung die hohe Artenvielfalt (45 Arten) und Individuendichte (ca. 20 Reviere/ha).


Blick vom "Widdebierg" nach Süden über die neue Autobahntrasse Luxemburg-Trier hinweg: Naturnähere Landschaftselemente fehlen weitestgehend sowohl im Grünland als auch in den Bereichen mit Ackernutzung. In diesem Teil des Flurbereinigungsgebietes befinden sich vor allem Brutreviere der Feldlerche (Alauda arvensis); es fehlen nicht nur Rote Liste-Arten, sondern auch ehemals in der Agrarlandschaft weit verbreitete Arten; die Brutdichte (ca. 3 Reviere/10 ha) ist extrem niedrig.

Mit Ausnahme des ausgeräumten Bereiches nordöstlich von Flaxweiler mit hohem Ackeranteil, überwiegt in diesem Teilgebiet das Grünland: in den steileren Bereichen des "Widdebierg" wird es als Weideland, in den flacheren Bereichen in Form von Mähwiesen genutzt.
Das südlich des Kammes und der Autobahntrasse gelegene Teilgebiet fällt schwach nach Südosten hin ab. Es gibt das Bild einer ausgeräumten Agrarlandschaft ab. Die Ausstattung an Landschaftselementen beschränkt sich auf die sehr unterschiedlich ausgebildete Ufervegetation des von West nach Ost ziehenden "Donvenerbaach", auf zwei Obstgärten bei der Siedlung "Buchholz", auf drei kleine Feldgehölze und auf eine Reihe von Straßenbäumen sowie einen Pappelbestand. Hecken fehlen praktisch ganz. Das wertvollste Landschaftselement stellt der mit Erlen bestandene Ostteil des "Donvenerbaach" und daran angrenzende Feuchtbrachen dar. In diesem Teilgebiet ist der Acker- und Maisanteil sehr hoch, das Grünland wird in Form von Mähwiesen genutzt.

3. Methode
Das zur Flurbereinigung vorgesehene Gebiet wurde in 7 Teilgebiete mit einer durchschnittlichen Größe von knapp 90 ha untergliedert, die von jeweils einer Gruppe von 2 bis 4 Feldornithologen bearbeitet wurden. Die Feldaufnahmen fanden im Winter 1989/90 und im Frühjahr und Sommer 1991 statt. In den Monaten Januar, Februar, März und Juli fand(en) jeweils ein, in den Monaten April, Mai und Juni jeweils zwei Kontrollgänge statt. Die Untersuchung der Siedlungsdichte während der Brutzeit erfolgte an Hand der Kartierungsmethode (z.B. BAILLIE, 1991), bei der alle Beobachtungen eines jeden Kontrollganges getrennt auf einer Tageskarte eingetragen wurden; aus dem Vergleich der Tageskarten ergibt sich anschließend die Verteilung der Brutreviere.

4. Ergebnisse
4.1. Gesamtartenliste
Tabelle 1 listet alle im Flurbereinigungsgebiet im Untersuchungszeitraum festgestellten Vogelarten auf und gibt ihren wahrscheinlichen Status in diesem zeitlichen und räumlichen Rahmen an.
Die Artenliste umfaßt mit 80 Arten etwa 30% der in Luxemburg überhaupt vorkommenden Vogelarten und mit 49 Arten, die im Flurbereinigungsgebiet brüteten, etwa 38% der Brutvögel Luxemburgs. Diese relativ niedrigen Zahlen erklären sich aus der Tatsache, daß das Untersuchungsgebiet keine geschlossenen Wälder und keine stehenden Gewässer oder größeren Fließgewässer aufweist. Vertreten sind alle heckenbewohnenden Arten und viele Arten der halboffenen Landschaft. Auffallend ist das Fehlen als Brutvögel von Braunkehlchen (Saxicola rubetra), Kiebitz (Vanellus vanellus) und Wiesenpieper (Anthus pratensis) sowie das gänzliche Fehlen des Rebhuhnes (Perdix perdix), der Schafstelze (Motacilla flava) und der Wachtel (Coturnix coturnix).

Tabelle 1: Gesamtliste der im Flurbereinigungsgebiet Flaxweiler zwischen Dezember 1989 und Juli 1990 festgestellten Vogelarten. Das Winterhalbjahr umfasst hier die Monate Dezember bis März, das Sommerhalbjahr die Monate April bis Juli. Die Angaben Wintergast (W), Durchzügler(D), Brutvogel (B) und Nahrungsgast (N) geben nicht den Status der Art in Luxemburg an, sondern den sicheren oder wahrscheinlichen Status im Untersuchungsgebiet während der angegebenen Untersuchungsperiode! Summe der Arten: 80. Summe der Brutvögel im Flurbereinigungsperimeter: 49. Ein * kennzeichnet Arten, die in den Siedlungen Flaxweiler oder Buchholz brüteten und im Flurbereinigungsgebiet auf Nahrungssuche gingen.

Vogelart Winterhalbjahr Sommerhalbjahr
W D B N
Ardea cinerea (Graureiher)       X
Anas platyrhynchos (Stockente)       X
Miivus migrans (Schwarzmilan)   X   X
Milvus milvus (Rotmilan)   X   X
Circus aeruginosus (Rohrweihe)   X    
Circus cyaneus (Kornweihe) X      
Accipiter nisus (Sperber) X     X
Accipiter gentilis (Habicht) X     X
Buteo buteo (Mäusebussard) X     X
Falco tinnunculus (Turmfalke)   X   X*
Phasianus colchicus (Fasan) X   X  
Grus grus (Kranich) (überfliegend)   X    
Vanellus vanellus (Kiebitz) X     X
Gallinago gallinago (Bekassine)   X    
Columba livia (Strassentaube) X     X
Columba palumbus (Ringeltaube) X   X  
Streptopelia decaocto (Türkentaube) X     X*
Streptopelia turtur (Turteltaube)     X  
Cuculus canorus (Kuckuck)     X  
Asio flammeus (Sumpfohreule) X      
Apus apus (Mauersegler)       X*
Picus canus (Grauspecht) X   X  
Picus viridis (Grünspecht) X   X  
Picoides major (Buntspecht) X   X  
Picoides medius (Mittelspecht)     X  
Alauda arvensis (Feldlerche)   X X  
Hirundo rustica (Rauchschwalbe)       X*
Anthus trivialis (Baumpieper)     X  
Anthus pratensis (Wiesenpieper)   X    
Motacilla alba (Bachstelze) X   X  
Troglodytes troglodytes (Zaunkönig) X   X  
Prunella modularis (Heckenbraunelle) X   X  
Lanius collurio (Neuntöter)     X  
Lanius excubitor (Raubwürger)     X  
Locustella naevia (Feldschwirl)     X  
Acrocephalus palustris (Sumpfrohrsänger)     X  
Sylvia borin (Gartengrasmücke)     X  
Sylvia atricapilla (Mönchsgrasmücke)     X  
Sylvia curruca (Klappergrasmücke)     X  
Sylvia communis (Domgrasmücke)     X  
Phylloscopus trochilus (Frtislaubsänger)     X  
Phyltoscopus collybita (Zilpzalp)     X  
Regulus regulus (Wintergoldhähnchen) X     X
Saxicola rubetra (Braunkehlchen)   X    
Phoenicurus phoenicurus (Gartenrotschwanz)     X  
Phoenicurus ochruros (Hausrotschwanz)     X  
Luscinia megarhynchos (Nachtigall)     X  
Erithacus rubecula (Rotkehlchen) X   X  
Oenanthe oenanthe (Steinschmätzer)   X    
Turdus merula (Amsel) X   X  
Turdus viscivorus (Misteldrossel) X     X
Turdus pilaris (Wacholderdrossel) X   X  
Turdus philomelos (Singdrossel)   X X  
Turdus iliacus (Rotdrossel) X      
Aegithalos caudatus (Schwanzmeise) X   X
Parus palustris (Sumpfmeise) X   X  
Parus montanus (Weidenmeise)     X  
Parus caeruleus (Blaumeise) X   X  
Parus major (Kohlmeise) X   X  
Parus ater (Tannenmeise) X     X
Sitta europaea (Kleiber) X     X
Emberiza citrinella (Goldammer) X   X  
Emberiza schoenidus (Rohrammer)     X  
Fringilla coelebs (Buchfink) X   X  
Fringilla montifringilla (Bergfink) X      
Serinus serinus (Girlitz)     X  
Carduelis chloris (Grünfink) X   X  
Carduelis carduelis (Distelfink)   X    
Carduelis spinus (Erlenzeisig) X      
Carduelis cannabina (Hänfling) X   X  
Coccothraustes coccothraustes (Kernbeisser) X   X  
Pyrrhula pyrrhula (Gimpel) X   X  
Passer domesticus (Haussperling) X   X  
Passer montanus (Feldsperling) X   X  
Stumus vulgaris (Star) X   X  
Garrulus glandarius (Eichelhäher) X     X
Pica pica (Elster) X   X  
Corvus monedula (Dohle) X     X
Corvus frugilegus (Saatkrähe) X     X
Corvus corone (Rabenkrähe) X X  

An Nicht-Rote Liste-Arten sind das Vorkommen der Nachtigall (Luscinia megarhynchos) an der Südwestspitze des "Widdebierg", eine wahrscheinliche Brut der Rohrammer (Emberiza schoenidus) sowie eine bis mehrere Bruten des Sumpfrohrsängers (Acrocephalus palustris) am "Lochebaach" nordöstlich von Flaxweiler hervorzuheben.
Die im Dezember tot aufgefundene Sumpfohreule (Asio flammeus) ist ein Überwinterer, die beiden im März beobachteten Bekassinen (Gallinago gallinago) sind Durchzügler.

4.2. Arten der Roten Liste
In der Roten Liste der Brutvögel Luxemburgs werden die Arten nach den Kriterien "ausgestorben", "vom Aussterben bedroht", "stark gefährdet", "gefährdet" und "potentiell gefährdet", den Kategorien 0,1,2, 3, respektive 4 zugeordnet. Nach der zur Untersuchungszeit gültigen 4. Fassung der Roten Liste der Brutvögel Luxemburgs (WEISS, 1988) konnten im Flurbereinigungsgebiet Flaxweiler 11 Rote Liste-Arten festgestellt werden (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2: Aufstellung der im Flurbereinigungsgebiet Flaxweiler zwischen Dezember 1989 und Juli 1990 festgestellten Arten der Roten Liste der Brutvögel Luxemburgs mit ihrer Gefährdungstufe und ihrem Vorkommen als Brutvögel im Flurbereinigungsgebiet (siehe Text).

Kategorie Brutvogel
Braunkehlchen (Saxicola rubetra) 2  
Graureiher (Ardea cinerea) 0*  
Grauspecht (Picus canus) 4 +
Habicht (Accipiter gentilis) 3  
Kornweihe (Circus cyaneus) 1  
Neuntöter (Lanius collurio) 3 +
Raubwürger (Lanius excubitor) 2 +
Rohrweihe (Circus aeruginosus) 0  
Rotmilan (Milvus milvus) 2  
Schwarzmilan (Milvus migrans) 2  
Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe) 2  

* 1990 in Luxemburg wieder als Brutvogel nachgewiesen.

Von den 11 beobachteten Rote Liste-Arten brüteten lediglich Grauspecht (Picus canus), Neuntöter (Lanius collurio) und Raubwürger (Lanius excubitor) im Untersuchungsgebiet. Beobachtungen des Grauspechtes lassen ein Revier im bewaldeten Südteil des "Widdebierg" oder in dessen Randbereich vermuten, solche des Raubwürgers ein Revier an den Südosthängen des "Widdebierg".
Bemerkenswert ist die Häufung der festgestellten 16 Revieren des Neuntöters an den Ost-, Süd- und Südwesthängen des "Widdebierg" (siehe Karte 1). Bezeichnenderweise konnte die Art außerhalb dieses Bereiches im übrigen Flurbereinigungsgebiet nur einmal beobachtet werden!


Karte 1: Die Verteilung der Brutreviere des Neuntöters (Lanius collurio) an den Hängen des "Widdebierg" während der Brutzeit 1990. Während diese Rote Liste-Art hier mit 16 Brutpaaren vertreten war, konnte sie im restlichen Flurbereinigungsgebiet nur einmal beobachtet werden. Der Wald des "Widdebierg" ist zur eranschaulichung gerastert.

Der Status im Rahmen dieser Untersuchung der anderen Rote Liste-Arten ist aus Tabelle 1 zu ersehen. Zusammen mit dem Mittelspecht (Picoides medius) stehen die Rote Liste-Arten Grauspecht und Neuntöter auf der Liste der Vogelarten der Direktive 79/409/CEE des Europarates, die besondere Schutzmaßnahmen zur Erhaltung der Lebensräume dieser Arten vorschreibt (GAMMELL, 1987).

4.3. Verteilung der Vogelarten im Flurbereinigungsgebiet während der Brutzeit
Bei der Auswertung der während der Brutzeit erhobenen Daten (Monate April bis Juli) zeigte sich schnell - wie zu erwarten - ein großer Unterschied in der Artenzahl und der Brutdichte im Bereich "Widdebierg" einerseits und dem restlichen Untersuchungsgebiet andererseits. In Tabelle 3 wurde versucht, diese Besiedlungsunterschiede zu quantifizieren. Als ungefähre Grenze der Hänge des "Widdebierg" wurde dabei ihr Übergang in flacheres Gelände genommen; sie nehmen dann etwa eine Fläche von 125 ha ein. Das restliche Flurbereinigungsgebiet nimmt also ca. 490 ha ein.
Hierzu ist folgendes zu sagen:
Bei der Größe des vorliegenden Untersuchungsgebietes und der hier zur Verfügung stehenden Zeit ist eine vollständige Erfassung aller Brutreviere nur schwer möglich. Bei den ermittelten Siedlungsdichten handelt es sich deshalb um Mindestwerte. Die Problematik wird dadurch verdeutlicht, daß z.B. am "Widdebierg" die vergleichsweise seltene, aber leicht nachzuweisende Rote Liste-Art Neuntöter (16x) öfters nachgewiesen werden konnte als die verbreitete, aber unauffälligere Dorngrasmücke (Sylvia communis, 7x). Diese Einschränkungen gelten allerdings - wenn auch stärker in unübersichtlichem Gelände - in allen Teilen des Untersuchungsgebietes, so daß sie den Vergleich von Teilgebieten nicht stören.

Nach Tabelle 3 brüteten am "Widdebierg" 60% mehr Vogelarten und die Zahl der sicheren und wahrscheinlichen Brutreviere war dort um über 60% höher als im gesamten, sehr viel größeren, restlichen Flurbereinigungsgebiet. Angesichts der oben angegebenen Flächen betrug die Brutdichte am "Widdebierg" 20 Brutreviere/10 ha, im restlichen Untersuchungsgebiet hingegen nur 3 Brutreviere/10 ha.

Tabelle 3: Brutvogelarten und Anzahl festgestellter Brutreviere in den östlichen, südlichen und südwestlichen Hanglagen des "Widdebierg" (45 Arten, 252 sichere oder wahrscheinliche Brutreviere) und den restlichen Teilen des Flurbereinigungsgebietes Flaxweiler (28 Arten und 154 sichere oder wahrscheinliche Brutreviere). Siehe auch Text!

Vogelart "Widdebierg" Flurbereinigungsgebiet ohne "Widdebierg"
Phasianus colchicus (Fasan) 1  
Columba palumbus (Ringeltaube) 6 1
Streptopelia turtur (Turteltaube) 1  
Cuculus canorus (Kuckuck) 2  
Picus canus (Grauspecht) 1  
Picus viridis (Grünspecht) 2  
Picoides major (Buntspecht) 3 2
Picoides medius (Mittelspecht) 1  
Alauda arvensis (Feldlerche) 8 32
Anthus trivialis (Baumpieper) 9 2
Motacilla alba (Bachstelze) 5 3
Troglodytes troglodytes (Zaunkönig) 6 5
Prunella modularis (Heckenbraunelle) 7 1
Lanius collurio (Neuntöter) 16  
Lanius excubitor (Raubwürger) 1  
Locustella naevia (Feldschwirl) 2  
Acrocephalus palustris (Sumpfrohrsänger)   3
Sylvia borin (Gartengrasmücke) 8 1
Sylvia atricapilla (Mönchsgrasmücke) 14 5
Sylvia curruca (Klappergrasmücke) 3  
Sylvia communis (Dorngrasmücke) 7 2
Phylloscopus trochilus (Fitislaubsänger) 2  
Phylloscopus collybita (Zilpzalp) 19 1
Phoenicurus phoenicurus (Gartenrotschwanz) 1  
Phoenicurus ochruros (Hausrotschwanz) 1  
Luscinia megarhynchos (Nachtigall) 1  
Erithacus rubecula (Rotkehlchen) 5 9
Turdus merula (Amsel) 16 8
Turdus pilaris (Wacholderdrossel) 1 14
Turdus philomelos (Singdrossel) 7 1
Aegithalos caudatus (Schwanzmeise)   1
Parus palustris (Sumpfmeise) 1  
Parus montanus (Weidenmeise)   1
Parus caeruleus (Blaumeise) 4 3
Parus major (Kohlmeise) 8 4
Emberiza citrinella (Goldammer) 20 15
Emberiza schoeniclus (Rohrammer)   1
Fringilla coelebs (Buchfink) 20 9
Serinus serinus (Girlitz) 2  
Carduelis chloris (Grünfink) 9  
Carduelis carduelis (Distelfink) 3 3
Carduelis cannabina (Hänfling) 9 7
Coccothraustes coccothraustes (Kernbeisser) 2  
Pyrrhula pyrrhula (Gimpel) 2  
Passer domesticus (Haussperling) 1  
Passer montanus (Feldsperling) 6 13
Sturnus vulgaris (Star) 3 6
Pica pica (Elster) 2  
Corvus corone (Rabenkrähe) 4 1

Außerhalb des "Widdebierg" fallen fast 50% der sicheren oder wahrscheinlichen Brutreviere auf nur 4 weit verbreitete Arten (Alauda arvensis, Emberiza citrinella, Passer montanus, Turdus pilaris). Die Reviere der bereits besprochenen Rote Liste-Arten Grauspecht, Raubwürger und Neuntöter befanden sich alle am "Widdebierg", sie fehlen als Brutvögel im restlichen Gebiet.

4.4 Die Bedeutung naturnaherer Landschaftselemente in den ausgeräumten Gebieten
Ohne auf Details einzugehen, zeigt sich an Hand der vorliegenden Ergebnisse die Bedeutung der wenigen Landschaftselemente in den strukturarmen Teilen des Flurbereinigungsgebietes: Während in der Ufervegetation der Ostteile von "Lochebaach" und "Donvenerbaach", einem Obstgarten, einem Fichtengehölz, den Resten einer ehemaligen Baumschule und einem Pappelbestand insgesamt 23 Arten (darunter Rohrammer, Sumpfrohrsänger und Buntspecht) brüteten und 43 sichere oder wahrscheinliche Brutreviere festgestellt werden konnten, brüteten außerhalb dieser Landschaftselemente nur 11 Arten, in 42 sicheren oder wahrscheinlichen Brutrevieren (darunter 26x die Feldlerche!).

5. Schlußbemerkungen
Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung belegen an Hand der Avifauna den hohen ökologischen Wert der Ost- und Südhänge des "Widdebierg" und erfordern deren integralen Erhalt. Sie dokumentieren außerdem die starke Verarmung der Avifauna als Folge des weitgehenden Fehlens von naturnahen Landschaftselementen und Kleinstrukturen im südlichen Teilgebiet und nordöstlich von Flaxweiler. In diese Bereiche müßten, auch bei einer Flurneuaufteilung, neue Kleinstrukturen eingebracht und bereits vorhandene Elemente, wie z.B. die Bachuferstreifen aufgewertet werden. Modelle für die Einbringung von Kleinstrukturen, vor allem Hecken, die sowohl landwirtschaftliche (große Parzellen, Mobilität), als auch umweltschutzrelevante (v.a. Erosionsschutz) und ökologische Belange (Artenschutz, Stabilisierung der Agrarökosyteme) berücksichtigen, wurden beschrieben und stehen zur Verfügung. Es liegt auf der Hand, daß die Strukturverarmung, diese betrifft ja nicht nur Hecken, sondern auch Grünwege, Brachstreifen über Geländestufen und Parzellengrenzen und eine Vielzahl von trockenen oder feuchten Kleinstbrachen, nicht durch die Neuanlage einiger weniger großer Hecken ausgeglichen werden kann.
Auf die Strukturverarmung und Nivellierung der Standortunterschiede durch die Flurbereinigung folgt in der Regel eine intensivere landwirtschaftliche Nutzung der flurbereinigten Flächen. In Anbetracht der gegenwärtigen Entwicklung der Landwirtschaft, der Überproduktion und der Extensivierungsdiskussion müssen die Ziele der Flurbereinigung neu definiert werden, auf jeden Fall aber muß auch in Luxemburg die klassische, ökologisch fatale Flurbereinigung der Vergangenheit angehören.

Zusammenfassung
Im Rahmen einer avifaunistischen Begleitstudie wurde im Winter 1989/90 und Sommer 1990 die Avifauna des Flurbereinigungsgebietes Flaxweiler (6°21'E, 49°40'N) untersucht. Das Flurbereinigungsprojekt befindet sich zur Zeit in der Vorbereitungsphase. Das Gebiet hat eine Gesamtgröße von 723 ha; untersucht wurde nur die offene Landschaft (616 ha), ohne Wald. Im Nordwesten des Gebietes befindet sich eine Anhöhe des Luxemburger Sandsteines ("Widdebierg"), deren reich strukturierte Keuperabhänge einen starken Kontrast zu den restlichen, z.T. ausgeräumten und landwirtschaftlich intensiv genutzten Bereichen bilden.
Die Ergebnisse belegen
- den hohen avifaunistischen Wert der Hänge des "Widdebierg":
- dort befanden sich 16 Brutreviere der Rote Liste-Art Neuntöter (Lanius colluriö),
- das Gebiet ist Teil von mindestens einem Revier der Rote Liste-Arten Raubwürger (Lanius excubitor) und Grauspecht (Picus canus),
- das Gebiet zeichnet sich durch eine hohe Artenzahl (45 brütende Arten) und eine hohe Brutdichte (ca. 20 Reviere/10 ha) aus,
- den Mangel an naturnahen Landschaftselementen und Kleinstrukturen im restlichen Flurbereinigungsgebiet und besonders in dessen südlichem Bereich:
- dort brüteten keine Rote Liste-Arten,
- wenige weit verbreitete Arten dominieren das Artenspektrum,
- die Artenzahl ist gering (28 brütende Arten) und die festgestellte
Brutdichte (3 Reviere/10 ha) extrem niedrig,
- die Bedeutung der wenigen größeren naturnahen Landschaftselemente in den ausgeräumten Bereichen (23 Arten und 43 festgestellte Brutreviere gegenüber 11 Arten und 42 Brutrevieren auf den flächenmäßig sehr viel größeren Agrarflächen).

Summary
In the winter of 1989-90 and the summer of 1990, a survey was conducted of the avifauna in the area affected by government-sponsored plans (currently in preparation) for the consolidation of highly fragmented field ownership patterns. The area concerned is Flaxweiler (6°21'E, 49°40'N), covering a total area of 732 hectares. The survey covered only the open countryside (616 ha), i.e. omitting the wooded areas. The north-western portion of the survey area features a hill on the Luxembourg Sandstone Belt, known as the "Widdebierg", with Keuper slopes supporting a good variety of landscape features and contrasting starkly with the adjoining largely featureless and intensively farmed areas.
The survey findings are as follows:
- The slopes of the "Widdebierg" are important in terms of avifauna, with:
16 breeding territories of the Red-listed Red-backed Shrike (Lanius collurio)
- part of at least one territory each of the Red-listed Great Grey Shrike (Lanius excubitor) and Grey-headed Woodpecker (Picus canus)
- a large number of species (45 breeding species) and a high breeding density (approx. 20 territories per 10 ha)
- The rest of the "consolidation project" area, especially the southern portion, has a poor range of semi-natural landscape features, with:
- no breeding Red-listed species
- a limited range of relatively common species
- a small number of species (28 breeding species) and an extremely low level of breeding density (3 territories per 10 ha)
- The few sizeable and semi-natural landscape features in the midst of the
featureless areas are of major importance (with 23 species and 43 known breeding territories compared with 11 species and 42 territories in what is a very much larger area of farmland).


Literatur
Baillie, S.R. (1991): Monitoring terrestrial breeding bird populations. In: Goldsmith, F.B.: Monitoring for conservation and ecology. London.
Gammell, A. (1987): Manuel relatif aux directives du Conseil Européen concernant la conservation des oiseaux sauvages. BEE, Bruxelles.
Office National du Remembrement (1989): Die Flurbereinigung. Luxemburg.
Weiss, J. (1988): Rote Liste der Brutvögel Luxemburgs. Regulus 1/88.

An den Geländeaufnahmen waren folgende Personen beteiligt: Bechet G., Bertemes P., Calmes P., Clemens J., Conzemius T., Felten P., Heidt C., Melchior E., Mentgen E., Moes M., Müller F., Paler N., Peltzer R., Röttcher M., Schmitt R., Schmitz J.-P., Thelen C., Weiss J., Wies J., Zwickenpflug G.