Von alten Vogelzugtheorien
Dass
die alten Zivilisationen kaum die Möglichkeit hatten, sich ein umfassendes
Bild vom Vogelzug zu machen, versteht sich von selbst. Wie aber stellten
sich unsere Forscher dieses Phänomen in neueren Zeiten vor, etwa vor
150 Jahren?
Ein
sehr "wissenschaftlicher" Schmöker (626 Seiten stark) von M. de Serres
"Des causes des Migrations des divers animaux et particulièrement
des oiseaux et des poissons", gibt uns einen Einblick in das damalige Wissen
(Jahrgang 1845). Es war anscheinend damals das einzige Werk zu diesem Thema,
und erhielt eine Auszeichnung von der Ges. der Wissenschaften von Harlem.
Die
Theorie basierte wohl hauptsächlich auf kosmopoliten Arten, die tatsächlich
in all den "durchwanderten" Gebieten vorkommen, und lautete folgendermassen:
-
ein Individuum
kann durchaus eine Weltreise machen
-
dies geschieht
gemäss einer vorgegebenen, sehr komplizierten Reiseroute
-
die Reise
kann sich aber über mehr als ein Jahr erstrecken
-
zwischen
einzelnen Etapen sind Ruhepausen eingelagert
-
es gibt
pro Art einen Ausgangspunkt der Reise, wobei nicht mehr nachvollziehbar
ist, ob dies der echte "Heimat"ort dieser Art ist.
Der Ausgangspunkt
für die Rauchschwalbe war z.B. in Ostafrika, für die Schleiereule
südlich der Sahara (!), für die Raben in
Nordwestafrika
usw.
Zwar
wissen wir heute durch Ringfunde, dass unsere Rauchschwalben gute Flieger
sind und bis in die Südhälfte des afrikanischen Kontinents wandern.
Was obiger Autor ihnen damals zumutete, hätte sie jedoch zu echten
Weltreisenden gestempelt.
Von
Ostafrika wäre eine Anzahl nach Südafrika, dann quer durch Afrika
bis nach Nordafrika gekommen, wo sie eine Rast einlegten.
Dort
hätten sie sich in zwei Richtungen fortbewegt, die eine nach Westeuropa
bis Island hinauf, die andere über Italien und Deutschland bis nach
Lappland. Soweit entspricht das ja noch etwa dem, was später nachgewiesen
wurde.
Gleichzeitig
wären Schwalbentrupps von Ostafrika nach Arabien, Indien (damals "Indoustan"),
Sumatra nach Australien geflogen (das damals noch "Neuholland" hiess).
Von dort ging die Reise durch den Südpazifik (!) nach Südamerika,
dann den ganzen amerikanischen Kontinent hinauf bis Alaska, Mongolei, Sibirien
bis nach Nordeuropa, wo die Schwalben mit der anderen "Kolonne" zusammengetroffen
wären!
Wohl
kommt die Rauchschwalbe in besagten Gegenden der Erde vor, jedoch sind
ihre Wanderungen nicht so umfangreich, und gehen nicht in die von Serres
vermuteten Richtungen.
Grenzen,
sogenannte Zugscheiden, an denen sich Ostwanderer und Westwanderer begegnen,
kommen öfter bei Zugvögeln vor. Die Zugscheide der Rauchschwalbe
z. B. liegt in Sibirien etwa bei 116° E im Amurgebiet: rechts davon
ziehen sie nach Thailand, links davon nach Afrika.