UMWELTATLAS FÜR LUXEMBURG
D. Frühauf & R. Kollwelter (1987), RTL-Edition, ISBN 2-87951-1,  S. 180-183

Gestern Tschernobyl - und morgen ?

DIE AUSWIRKUNGEN DER KATASTROPHE AUF LUXEMBURG

Das, was die Befürworter der Atomenergie für unmöglich hielten, geschah am 26. April 1986 in Tschernobyl (Sowjetunion) : ein SUPER-GAU, ein Größter Anzunehmender Unfall, in einem Kernkraftwerk.
Größere Mengen Radioaktivität wurden in der Atmosphäre freigesetzt und am 1. Mai 1986 erreichte die radioaktive Wolke Luxemburg. An diesem Tag, gegen 16 Uhr, begannen die 9 automatischen Meßstationen ein Ansteigen der Radioaktivität in der Atmosphäre über unserem Land festzustellen. Eine erste Analyse ergab, daß es sich tatsächlich um die ersten Auswirkungen des Tschernobyl-Unfalls in Luxemburg handelte.
Gegen 18 Uhr, als die Radioaktivität ihren Höhepunkt erreicht hatte, beschloß Gesundheitsminister B. Berg, die Öffentlichkeit zu informieren.
Die Gewitter, die am Nachmittag des 3. Mai 1986 niedergingen, brachten die in der Luft enthaltene Radioaktivität auf die Erdoberfläche und verseuchten so den Boden, die Pflanzen und die Gewässer. Dadurch entstand eine radioaktive Verseuchung von verschiedenen Elementen der Nahrungskette (Milch, Fleisch, Gemüse etc.).
Im Dezember 1986 erschien eine Studie des „Service de la Radioprotection" des Gesundheitsministeriums über die Auswirkungen des Tschernobylunfalls in Luxemburg. Nuklearingenieur M. Feider zeichnet für diese Studie verantwortlich.
Aus diesem Dokument erfährt man, daß die Regierung am Samstagnachmittag, dem 3. Mai, beschloß, eine Reihe von Präventivmaßnahmen zu ergreifen, so u. a. die Empfehlung, die Milchkühe nicht auf die Weide zu führen.
Für die zwei wichtigen Lebensmittel Milch und grünes Frischgemüse wurde beschlossen, die strengen deutschen Normen anzuwenden.
Weil die Kontrollen des grünen Frischgemüses höhere Werte aufwiesen als die deutschen Normen (250 Bq/kg Jod-131) zulassen, wurde am Dienstag, den 6. Mai der Bevölkerung geraten, während mehreren Tagen kein Frischgemüse zu essen.
Gleichzeitig wurde bekannt, daß die Werte der Milch bei weitem unter der deutschen Norm von 500 Bq/l Jod-131 lagen.
Was die Radioaktivität in der Luft anbelangt, so wurden am Abend des 1. Mai und am darauffolgenden Tag Werte gemessen, die 80 % höher waren (zwischen 18 und 21 Microrem/St) als die natürliche Radioaktivität (zwischen 10 und 14 Microrem), der wir normalerweise ausgesetzt sind.
Nach den Regenschauern vom Samstagnachmittag, welche die Radioaktivität von der Atmosphäre auf die Erdoberfläche verlagerten, wurden die Luftmassen reiner.
Auch der Klärschlamm der Kläranlagen wurde kontrolliert und so wurde frühzeitig festgestellt, daß die Verseuchung hier relativ hoch war. Der Cäsiumgehalt der Klärschlämme lag zwischen 1000 und 2000 Bq/ kg, es wurde sogar ein Höchstwert von 4700 Bq/kg gemessen ; die Toleranzschwelle, um den Klärschlamm für die landwirtschaftlichen Aktivitäten freizugeben, liegt bei 500 Bq/kg.
Bei der Verseuchung der Nahrungskette sei vor allem die Milch hervorgehoben, weil sie ein wichtiges Lebensmittel und ein Hauptindikator für die radioaktive Verseuchung der Menschen ist.
Der Gehalt der Milch an Jod-131 konnte, dank der Maßnahme, die Kühe in den Stallungen zu lassen, in Grenzen gehalten werden. Der Gehalt an Cäsium-134 und -137 war längere Zeit höher, fiel aber nach der Heuernte. Das geschnittene Gras dieser Zeit wies eine relativ hohe Cäsium-Verseuchung auf, so daß der Cäsiumgehalt der Milch und des Fleisches im Winter 1986/87 wieder anstieg, nachdem das Vieh mit dem leicht verseuchten Heu gefüttert worden war.
Von der importierten Milch war es vor allem die Konservenmilch aus Deutschland, die hohe Cäsium-Werte aufwies (bis 230 Bq/Liter); eine bestimmte Marke enthielt sogar 500 Bq/Liter und wurde prompt zurückgeschickt.
Das Wild war eine der meistverseuchten Fleischsorten nach dem Tschernobyl-Unfall. Während der Jagdzeit im Sommer 86 stellte man in 5 Fällen sogar Werte über 600 Bq/kg fest, in einem Fall sogar 835 Bq/kg. Im Durchschnitt waren die Werte allerdings viel niedriger, wie aus der oben zitierten Studie hervorgeht.
Während der Herbstjagdzeit waren die Werte insgesamt wieder niedriger. Im Gegenteil zu anderen Fleischsorten werden die Werte beim Wild nicht im Winter steigen, aber in den folgenden Jahren wird die Verseuchung des Rehs immer ein bißchen höher als jene des Kalbfleischs sein, vor allem wegen der unterschiedlichen Ernährungsweise.
Der Bericht des Gesundheitsministeriums kommt abschließend zu interessanten Vergleichen.
So wird zum Beispiel von der natürlichen und medizinischen Radioaktivität gesprochen, der durchschnittlich jeder Luxemburger ausgesetzt ist ; diese beträgt zwischen 270 - 450 Millirem pro Jahr. Als Folge des Tschernobyl-Unfalls wird im ersten Jahr danach in Luxemburg mit einer Erhöhung von 12,2 Millirem für Erwachsene und 18 Millirem für Kinder pro Jahr gerechnet. Im Verhältnis zur Gesamtmenge an Radioaktivität, der jeder Luxemburger jährlich ausgesetzt ist, ist die durch den Tschernobyl-Unfall bedingte Zunahme also relativ unbedeutend. Bei einem Transatlantikflug bekommt man immerhin auch 2,5 Millirem pro Flug ab. Nicht zu vergessen sind die 423 Atomwaffenversuche in der Atmosphäre, die in den letzten 40 Jahren große Mengen von radioaktivem Spaltmaterial freigesetzt haben. Insgesamt gesehen ist diese Dosis höher als jene, die infolge des Tschernobyl-Unfalls freigesetzt wurde.
Allerdings dürfen wir etwas nicht vergessen : Tschernobyl liegt über 2 000 km von Luxemburg entfernt. Andere Atomkraftwerke, wenn auch vielleicht modernere, liegen in unmittelbarer Nähe unseres Landes.
Cattenom wurde schon verschiedentlich in diesem Atlas erwähnt ...
Ein ähnlicher Bericht, wie jener über die Tschernobylauswirkungen für Luxemburg, müßte auch nach der Inbetriebnahme des AKW's in Cattenom jährlich vorgelegt werden.


CÄSIUMGEHALT DER LUXEMBURGER MILCH in Bq/l von Mai bis Dezember 1986. Der Anstieg der Werte gegen Ende des Jahres ist durch die im Sommer geernteten und jetzt erst in den Stallungen verwendeten Futtermittel bedingt.


CÄSIUMGEHALT DES LUXEMBURGER RINDFLEISCHES in Bq/kg von Mai bis Dezember 1986.
 
 

Einige Vorschläge :

• Die Energiesparmaßnahmen für Industrie und Haushalte müssen stärker gefördert werden, trotz Energiepreissenkungen !
• Das Erdgasnetz Luxemburgs muß nach Osten und nach Norden vergrößert werden. Wegen seiner Umweltfreundlichkeit muß dieser Energieträger unterstützt werden.
• Luxemburg soll auf den Einkauf von Nuklearenergie verzichten und den Ausstieg aus diesem Energietyp auf internationaler Ebene unterstützen !
• Die dezentralen und privaten Stromerzeugungsinitiativen sowie die Forschung auf dem Gebiet der alternativen Energiequellen muß gefördert werden.
• Ein Informationsbüro für Energiefragen muß eingerichtet werden, um den Haushalten und den Betrieben behilflich zu sein.
• Die Tarifordnung darf den Mehrverbrauch an Strom nicht belohnen.
• Niedrigere Mehrwertsteuersätze für energiesparende Geräte könnten eingeführt werden !


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