Veröffentlicht in: Natur & Umwelt (Aves Ostkantone) 1981, Nr 1
S. 20-22
Der Rotmilan (Milvus milvus) als
Feldbrüter
Einleitung: Eine
Selbstverständlichkeit welche schon jahrzehntelang, wenn auch
früher, um 1940-1960, bedeutend seltener wie jetzt schon beim
Mäusebussard (Buteo buteo) beobachtet wurde, ist 1980 in der
belgischen Eifel auch beim Rotmilan eingetreten - das Feldbrüten.
Als Feldbrut eines Greifvogels bezeichnen wir eine Brut dieser Arten,
welche in weiterer Distanz von einem größeren oder kleineren
Waldkomplex mitten in der Feldmark auf einer Baumreihe, einem
Einzelbaum oder einer Hecke stattfindet. In der einschlägigen
Fachliteratur habe ich nur sehr wenige Hinweise darauf erhalten,
daß der Rotmilan auch als Feldbrüter auftreten kann. Im
Nordharz und seinem Vorland wurden 2 Feldbruten der Art bekannt - J.
Haensel, H. König. Als Brutrevier werden im allgemeinen, alte
lichte Laubwälder oder alte Kiefernforste angegeben. Die Frage ob
in Ostbelgien alte Fichtenbestände, wie sie hier häufig
vorkommen, auch als Brutgebiet vom Rotmilan benutzt werden, bleibt
offen. Trotz intensiver Nachforschungen konnten wir keinen Brutfall in
Fichten nachweisen. Nach E. Fuchs, horstet der Rotmilan in der Schweiz
vorwiegend auf Nadelhölzern: Weißtannen, Fichten und
Föhren, auch wenn geeignete Laubholzbestände als Brutrevier
vorhanden sind.
Seit 1976 nehmen in Ostbelgien die Rotmilanbeobachtungen besonders in
den Sommermonaten ab Mitte Juli erheblich zu, um dann wieder ab Mitte
September nachzulassen. Mehrmals wurden 20 Expl. und mehr zusammen
beobachtet. Besonders der extrem trockene Sommer 1976 übte eine
enorme Anziehungskraft auf den Rotmilan aus, mit höchsten
Beobachtungszahlen ab Mitte Juli. Eine ausgetrocknete Landschaft
scheint für diesen Greif ein idealer Lebensraum zu sein.
Wahrscheinlich handelt es sich bei dieser großen Anzahl
Übersommerer der Art um noch nicht geschlechtsreife Tiere
benachbarter Brutreviere. Dieser Beitrag soll gleichzeitig als weitere
Vervollständigung meiner Abhandlung über den Rotmilan aus dem
Jahre 1976 verstanden werden, erschienen in der Zeitschrift
„Natur und Umwelt" Heft 2/1976, sowie im
französischsprachigen Bulletin von ,Aves' Heft 4/1976, unter dem
Titel „Die Bestandsentwicklung des Rotmilans in Ostbelgien von
1970-1975". Weitere Aspekte der Brutbiologie, der Beutezusammensetzung
und der Ernährungsstrategie der hiesigen Rotmilane sollen in
diesem Beitrag erklärt werden.
Biotop: Als Brutgebiet
benutzten die Rotmilane in diesem Fall ein ausgedehntes
Grünlandgebiet, Viehweiden und Mähwiesen (Foto). Die
Bewirtschaftung ist größtenteils intensiv, abgesehen von
einer feuchten bis sumpfigen Tallage im direkten Brutbereich. Diese
Tallage beinhaltet meistens extensiv bewirtschaftete Viehweiden und
kleinere unbewirtschaftete Sumpfflächen. Größere
Parzellen sind mit einem Baumbestand umgeben; 60-70 jährige Buchen
und etwa 180 jährige Eichen. Mehrere Parzellen sind mit
Weißdornhecken umrandet, auch zahlreiche einzelstehende
Weißdornbüsche gehören zur höheren Vegetation des
Geländes. Das am nächsten bewohnte Haus liegt 500m vom
Horstbaum entfernt, das erste kleinere zusammenhängende Waldgebiet
(Fichten) befindet sich in 1.100m Entfernung. Eine größere
Wasserfläche ist im Brut und Jagdgebiet dieses Rotmilanpaares
nicht vorhanden. Höhe über N.N. 500m.
Warum sich der Rotmilan diese Grünlandregion als Brutgebiet
gewählt hat, hängt wahrscheinlich u.a. auch mit einem guten
Althorstangebot zusammen. 9 Althorste des Mäusebussards
verschiedener Größenordnungen in nicht allzuweiter
Entfernung voneinander, haben bestimmt eine gewisse Anziehungskraft auf
den Rotmilan ausgeübt. Von diesen Althorsten waren außer dem
einen vom Rotmilan, zwei andere vom Mäusebussard besetzt. Eine
Brut wurde 260m, die andere 370m vom Rotmilanhorst entfernt gezeitigt,
mit zusammen 7 ausgeflogenen Jungvögeln.
Erklärung: Am 17.
März wurde in besagtem Gebiet ein Rotmilan beobachtet der nicht
mehr als Durchzügler galt. Am 27. März wurden dort 2
Exemplare der Art gesichtet. Am 28. März wurde 1 Exemplar mehrmals
im direkten Brutrevier beobachtet. Am 30. März fliegt ein Rotmilan
von altem Mäusebussardhorst (1979 von Buteo besetzt) ab. Am 3.
April schließlich fliegt ein Exemplar vom Horst ab, kehrte aber
wieder nach 4 Minuten auf denselben zurück und blieb dort. Vorher
hatten beide Altvögel das Brutgebiet überflogen. Der 3. April
ist als Datum des Brutbeginns anzunehmen. Laut Literatur ist dieser
Brutbeginn als früh zu bezeichnen. Der Brutbaum ist eine etwa 180
jährige fast bis zum Boden beästete Alteiche in einer
Alteichenreihe stehend. Horststand etwa 14m hoch, relativ kleiner
Mäusebussardhorst in der Baumkrone, aber mit guten
Anflugmöglichkeiten. Am 12. April entstand eine etwa eine Stunde
dauernde Störung im Brutrevier durch einen Traktor mit
Wiesenschleife. Jedesmal wenn der Traktor vorbeifuhr, flog das Weibchen
vom Horst ab. Etwa nach einer Stunde hatte sich der Vogel an diese
Störung gewöhnt und blieb auf dem Horst. Auffallend oft, und
mehr als die Mäusebussarde, wurden die Rotmilane von
Rabenkrähen (Corvus corone) attackiert. Scheinbar werden die
Rabenkrähenhorste des öfteren vom Rotmilan geplündert.
Das besagte Grünlandgebiet weist einen dichten Besatz an
Rabenkrähen auf. Am 9. Mai wurden Jungvögel (Küken) auf
dem Rotmilanhorst beobachtet, das Weibchen war abgeflogen. Ab dem 14.
Mai wurde die Rotmilanbrut täglich von Rabenkrähen
belästigt, diese Vögel hatten es wohl mehr auf die
herangebrachte Beute abgesehen als auf die Jungmilane, beide Altmilane
traten zur Verteidigung von Brut und Beute an. Einmal landete eine
Rabenkrähe auf dem Horst, wurde aber sogleich von einem Altvogel
vertrieben, danach besetzten beide Milane den Horst für kurze
Zeit. Am 31. Mai wurden 3 Jungmilane beringt, sie waren an diesem Datum
24-25 Tage alt, ein Juv. war 4-5 Tage jünger. Ab dem 6. Juni
wurden die beiden ältesten Jungvögel aufrechtstehend im Horst
beobachtet. Beim Betreten des Brutgebietes war ständig ein
Altvogel zur Stelle. Bei seinem Alarmruf gingen die Jungvögel von
der aufrechten Haltung im Horst sofort auf eine flachliegende über.
Am 25. Juni hatte der erste Jungvogel den Horst verlassen, er saß
als Ästling 40cm über demselben. Am 3. und 4. Juli
schließlich sind die Jungmilane ausgeflogen, zur Zeit einer
anhaltenden Regenperiode. Dem jüngsten Jungvogel machte die
Näße schwer zu schaffen. Er wurde auf einem Zaunpfahl
sitzend beobachtet, landete dann beim Abflug
ins nasse Gras und war außerstande sich wieder vom Boden
abzuheben. An der Ringnummer war dieser als der jüngste der Brut
zu erkennen. Wir haben ihn dann gegriffen und in eine Hecke gesetzt wo
er von den Altvögeln gefüttert wurde. Glücklicherweise
folgten dann 2 regenfreie Tage, sein Gefieder trocknete und er wurde
ein paar Tage später gemeinsam mit seinen Nestgeschwistern im Flug
beobachtet.
Bei einer anderen Rotmilanbrut des Jahres 1980 in der Gemeinde Amel,
ebenfalls mit 3 Jungvögeln, fanden wir nach dem Flüggewerden,
den jüngsten Jungmilan durchnäßt auf einem Baumstumpf.
Erstaunlich war das zahme Verhalten dieser am Erdboden gegriffenen
Jungmilane. Sie zeigten im Gegensatz zu jungen Mäusebussarden,
keinerlei Anzeichen von Aggressivität, sondern demonstrierten den
Scheintod. Auch R. Schmitt (Luxemburg) berichtet vom
Scheintodmanöver bei jungen Rotmilanen. Erwähnenswert ist
auch, daß unter dem Brutbaum dieses Feldbrüters eine
Fuchsfamilie (Vulpes vulpes) wohnte. An manchem, vom Milanhorst
abgefallenem Aasstück werden sich die Füchse erfreut haben.
Ernährungsstrategie: An
Hand von Beuteanalysen aus dem Jahre 1978, durchgeführt von W.
Pfeiffer Krinkelt, haben wir exakt festgestellt, daß das
Beuterevier unserer Rotmilane sich mindestens auf einen Radius von mehr
als 6 km erstreckt. Wir fanden auf einem Rotmilanhorst zahlreiche
Fischreste von Fischarten, die nur in den Stauseen von Bütgenbach
und Robertville als nächste Gewässer vorkommen. Die Talsperre
Bütgenbach lag 6 km vom Brutbaum entfernt. Es wurden
Schwanzflossen Gräten und Schuppen von Karpfenartigen: Rotauge
(Rutilus rutilus) und Rotfeder (Scardinius erytrophtalmus) vorgefunden
und Hautfetzen mit Brustflossen des Stachelbarsches (Perca
fluviatilis). Da beide Fischarten nur in den Stauseen Bütgenbach
und Robertville, dort aber oft tot am Ufer liegend vorkommen, muß
der Rotmilan diese Kadaver mit Sicherheit dort aufgelesen haben. Er
wirkt also seuchendämmend.
Beuteanalyse: Von 4
Rotmilanhorsten aus den Jahren 1977-1978-1980. Da der Rotmilan als
Aasvertilger bekannt ist, wird es sich bei den in der Beuteanalyse
angegebenen Säuger und Fische überwiegend um als Kadaver
aufgelesene Tiere handeln. Die Listen der Beutetiere sind, mit den am
häufigsten vorkommenden Arten angefangen, aufgestellt.
Säuger
Schermaus
Feldmaus
Maulwurf
Igel
Junghase
Kuhnachgeburt (Teil)
Rinderknochen (größerer)
Schweinerippe
N.B. Die beiden letzten Beuteteile stammen wahrscheinlich aus einer
Müllkippe.
Vögel
Singdrossel (juv.)
Elster (juv.)
Rabenkrähe (juv. + ad.)
Buchfink (juv.)
Ringeltaube (juv.)
Haustaube
Eichelhäher(juv.)
Star (juv. + ad.)
Amsel (juv.)
Goldammer (juv.)
Waldohreule (juv.)
Haushuhn
Fische
Rotfeder
Rotauge
Stachelbarsch
Kontrollierte Rotmilanbruten im
deutschsprachigen Teil Ostbelgiens
(Kanton St.Vith und Teil des Kantons Malmedy. (seit 1976).
1976: Brutversuch, Mitte Mai wurde der Horst verlassen, da er sich stark
zur Seite neigte.
1977: 1. Brut festgestellt. Am 7.6.1977 wurde ein Jungvogel beringt -
etwa
20 Tage alt. Im Horst befand sich außerdem ein nicht
ausgebrütetes Ei.
1978: 1. Brut festgestellt. Am 10.6.1978 wurden zwei Jungvögel
beringt - etwa 3 Wochen alt.
1979: Keine erfolgreiche Brut der Art festgestellt. In einem gewohnten
Brutgebiet wurden die Rotmilane wahrscheinlich durch länger
anhaltende Waldarbeiten vertrieben.
1980: Schließlich zwei erfolgreiche Bruten mit 6 ausgeflogenen
Jungvögeln. Eine dritte Brut wurde durch Brennholzzubereitung
gestört, der Horst wurde verlassen. Zusammenfassend möchten
wir behaupten, daß der Rotmilan dabei ist eine
Besiedlungslücke an der westlichen Grenze seines Brutareals zu
schließen. Zunehmende Rotmilanbeobachtungen und Brutfälle
auch im wallonischen Teil unseres Landes bestätigen diese These.
Hubert Wiesemes, Ameler Straße 112, B-4781 Wallerode/Amel
Hildebrand H./Semmler W.(1976)
Literatur
Clausing P./Gleichner W.(1978) Überwinternde Rotmilane bei
Bernberg, Muhlhausen und im Nordharz-Vorland.
Fuchs E. (1970) Bestand, Biotop und Verbreitung des Rotmilans in der
Schweiz.
Hildbrand H./Semmler W.(1976) Ornis Thüringens Teil 2.
Hoeher S.(1972) Gelege der Vögel Mitteleuropas.
König H./Haensel J. Die Vögel des Nordharzes und seines
Vorlandes.
Mebs Th.(1968) Greifvögel Europas.
Morbach J.(1963) Vögel der Heimat (Luxemburg)
Peltzer R. (1977-78) Zur Brutverbreitung des Rotmilans in Luxemburg (in
Regulus)
Von Blotzheim U.N.G. (1971) Handbuch der Vögel Mitteleuropas.
Hubert Wiesemes 112, Ameler Straße B-4781 Wallerode/Amel